11. Arbeitstagung bei der Fr. Strube Saatzucht Söllingen 24./25. Juni 2004 in der Westerburg und Schlanstedt

– 67 Teilnehmer –

Organisation:
Dr. A. Meinel, Heimburg, u. Dr. H. Graf v.d. Schulenburg, Bad Salzuflen

Die Anregung von Herrn Dr. Hermann Strube, für das diesjährige Treffen die Westerburg an der Straße der Romanik, bei Dedeleben nordwestl. Halberstadt, zu wählen, war ein „Goldtipp“ (Romanikpreis in Gold im April 2003 und Landestourismuspreis in Gold im Mai 2003). Seit 1999 im Privatbesitz der Familie Lerche und von dieser seit 2000 als Hotel genutzt (****, lerche@hotel-westerburg.de), gehört die Westerburg zu den ältesten und besterhaltenen deutschen Wasserschlössern mit bedeutenden romanischen Bauteilen, einer kastellartigen Wohnburg (um 1300) mit rundem Bergfried (um 1200), einer ovalen Vorburg als Wirtschaftshof in Fachwerkbau (um 1450), eingeschlossen von einem hohen Erdwall und doppeltem Wassergraben und zugänglich nur durch das spätgotische Vortorhaus auf dem Wall, das der (ehem.) Zugbrücke über den inneren Burggraben vorgelagert ist. Eine Führung durch die Gesamtanlage, den Fürstensaal mit beeindruckenden spätgotischen Balken, die barocke Schlosskapelle u.a. war allerdings den 28 „Begleitpersonen“ vorbehalten.

Für die AG-Mitglieder begann das Tagungsprogramm um 13 Uhr mit der Internen Sitzung.

Nach Begrüßung durch Dr. Meinel wurde die Tagesordnung genehmigt. Auf Grundlage der neuen Geschäftsordnung für die Arbeitsgemeinschaften der GPZ (vom Vorstand beschlossen am 5.1.2004) leitete Prof. Röbbelen die Wahl der AG-Leiter: Sein Vorschlag, die bisherigen Leiter, Dr. A. Meinel und Dr. H. Graf von der Schulenburg, wiederzuwählen, wurde von den Anwesenden einstimmig durch Akklamation bestätigt und ihre Wahl von den beiden Gewählten angenommen.

Über das „Biographische Lexikon zur Geschichte der Pflanzenzüchtung“ und den Stand der Erarbeitung der 3. Folge-Ausgabe berichtete Prof. Röbbelen. Es liegen dafür inzwischen rd. 200 Artikel m.o.w. druckfertig vor. Das allen Teilnehmern zugesandte „Namens-verzeichnis“ der noch nicht in den Folgen 1 und 2 behandelten Personen lässt erkennen, dass es möglich sein sollte, die überwiegende Anzahl der zurzeit erreichbaren Daten mit einer abschließenden Anstrengung zu heben. Deshalb wurde beschlossen, die 3. Folge im laufenden Jahre fertig zu stellen und rechtzeitig vor Weihnachten herauszubringen. Sie soll enthalten: (1) die noch fehlenden Biographien aller Personen, die im deutschen Sprachraum Pflanzenzüchtung als Wissenschaftler, praktische Züchter oder in fachnahen Bereichen betrieben und im Jahre 2004 das 65. Lebensjahr erreicht oder ihre diesbezügliche berufliche Tätigkeit abgeschlossen haben. Noch ausstehende Unterlagen sollen dem Herausgeber, Prof. Röbbelen, vor dem 15. September 2004 zugesandt werden;

(2) eine vollständiges Namensverzeichnis einschließlich derjenigen, für die keine detailliertere Informationen zur Erstellung einer Kurzbiographie, aber doch Daten zu Lebensjahren und -orten sowie Zuchtobjekten verfügbar sind;

(3) Korrekturen und Ergänzungen zu Inhalten der 1. und 2. Folge.

Auch zu (2) und (3) werden alle AG-Mitglieder vor dem 15.9. um Ergänzungen gebeten!

Abschließend zu diesem TOP wird festgestellt, dass ein „Briefkasten“ im GPZ-Sekretariat eingerichtet werden sollte, in dem alle zukünftig anfallenden personenbezogenen Daten über Pflanzenzüchter (z.B. Ehrungen, Nachrufe u.ä.) gesammelt werden sollen, um sie zu gegebener Zeit als Unterlagen für eine 4. Folge oder Neuauflage zur Verfügung zu haben.

Den Vorschlag für die Erarbeitung einer Monographie mit dem Titel „Pflanzenzüchtung in Deutschland – 100 Jahre GFP e.V. (1908-2008)“ erläutert Prof. Röbbelen. Diese Jubiläumsausgabe soll insbesondere die Wissenschafts- und Wirtschaftsgeschichte der Pflanzenzüchtung behandeln. Eine erste Themengliederung liegt diesem Protokoll bei. Das Gelingen des Vorhabens hängt wesentlich davon ab, ob eine hinreichende Anzahl von bereitwilligen und zureichend kompetenten Autoren für die einzelnen Kapitel gefunden werden kann. Darüber soll in den nächsten Monaten ein Gespräch zwischen den Koordinatoren der 5 skizzierten Kapitel entscheiden, in dem auch über mögliche Referenten zu den (über 20) Einzelthemen zu beraten sein wird. Anregungen zum Inhalt und für Autoren sind jederzeit willkommen!

In Fortsetzung des Programms fuhren die Teilnehmer mit den eigenen PKWs in das 6 km entfernte Dorf Hessen, wo Herr A. Bartsch: Die Lustgärten des Johann Royer (1574-1655) vorstellte. Vor dem Vergessen bewahrt wurde diese manieristische Gartenanlage von europäischem Niveau durch ihre Aufnahme in das große Topographiewerk des Matthäus Merian (1654) und vor allem durch die von Royer in hohem Alter selbst gefertigte, umfangreiche Niederschrift „Beschreibung des ganzen Fürstl. Braunschw. gartens zu Hessem, mit seinen Künstlichen Abteihlungen, Qvartieren, gehegken, gebeuden, Lauber Hütten, WaßerKunsten, Prunnen und ausgehawenen Bildern, auch Ordentliche Specifikation aller derer Simplicium und Gewechse…, darinnen mit groser Lust und Verwunderung gezeuget worden, …“, erstmals erschienen 1648 in Halberstadt. In natura ist die Anlage neben den Ruinen des Fürstlichen Schlosses in Hessen heute nur noch in ihren Umrissen in der Gestalt einer rechteckigen Wiese erkennbar. Ausgangspunkt war die Wahl Hessens als Witwensitz durch Herzog Julius von Braunschweig (1568-1589), dessen Gattin sich hier bereits in vielfältiger Weise der Gartenkunst widmete. Aber erst ihre Schwiegertochter Elisabeth, eine Prinzessin aus königlich-dänischem Hause, verfolgte gemeinsam mit ihrem Gemahl Herzog Heinrich Julius (1589-1613) den Plan, aus den vorhandenen Anlagen einen wesentlich prächtigeren, eindrucksvolleren Lustgarten entstehen zu lassen. Dafür konnte sie, durch Vermittlung des Erzbischofs von Köln, den damals schon wohl bekannten Gartenmeister Johann Royer aus „Welsch Brabant“ gewinnen und 1607 nach Hessen holen. Unterstützt von zwei Gesellen und von der Herzogin direkt gefördert, insbesondere nachdem sie 1613 als Witwe in Hessen persönlich Wohnung genommen hatte, schuf Royer innerhalb von 15 Jahren eine erstrangige Gartenanlage mit 9 Quartieren in jeweils individuell konzipierter geometrischer Gestaltung (z.B. als Wappen-Quartier, als Rauten-, Stern-, Brunnen-, Trommel- oder Päonien-Quartier etc.), die ihresgleichen in Europa vor allem wohl deshalb kaum hatte, weil Royer hier eine so große Fülle von an die 1900 Pflanzenarten zusammenbrachte, dass der Bestand fast alle damals in Deutschland vorhandenen kultivierten und wilden Zierpflanzensippen und zahllose weitere aus der ganzen Welt umfaßte. Wie sein „Catalogus Derer Gewächse, so hieselbst zu Hessen, Bey Zeiten der Durchleuchtigen, Hochgebornen Fürstin und Frawen, Frawen Anna Sophia (die Schwiegertochter von Elisabeth), … von Anno 1630. an biß in das 1651. Jahr gezeuget worden“ ausweist, entsprach der Hessener Garten weniger einem landesüblichen Lustgarten als vielmehr einem Botanischen Garten, dessen Artenreichtum sich mit den Beständen der berühmtesten in Kopenhagen, Leiden, Paris, Altdorf der Padua messen konnte. Die zwei mit diesem Catalog überlieferten Pflanzenlisten (die erste alle Arten bis 1630 enthaltend) zweifelsfrei zu entschlüsseln, stößt allerdings auf erhebliche Schwierigkeiten; denn die erst von Linné eingeführte binäre Nomenklatur existierte damals noch nicht, und Royer verwendete die Bezeichnungen verschiedener Autoren oft ohne genauere Konnotation. Im anschließenden Küchengarten standen in Hessen nach dem Pflanzenkatalog Royers mehr als 270 gärtnerische Nutzpflanzen, für die er in seiner Schrift nicht nur bemerkenswert präzise Kulturanleitungen, sondern auch Rezepte zur ihrer Verwendung beifügt, wie er den etwa 100 hier kultivierten Obstgehölzen ebenso Anweisungen zur Technik erfolgreichen Pfropfens, die besondere Eignung einzelner Sorten als Reis oder Unterlage und vieles mehr anfügt. Sein Epitaph in der Kirche zu Hessen, das für ihn bereits 1638 sehr kunstvoll gefertigt wurde und ihn als wohlhabenden Mann im Kreise seiner Familie darstellt, lässt jedoch auch ein von schweren Schicksalsschlägen geprägtes Leben erkennen: Er verlor 3 von 4 Ehefrauen und 8 von 9 Kindern dieser Ehen. Der einzige verbliebene Sohn Maximilian erlernte das väterliche Metier und wurde später sein Nachfolger. Doch nach ihm verfiel der Garten in Hessen in wenigen Jahren. Eine Posterausstellung in einem verbliebenen Flügel des Fürstl. Schlosses, erarbeitet für ein wiss. Symposium 1998 anlässlich des 350. Jahres nach dem Erscheinen von Royers Schrift anhand von Modellen, vermittelte eine Ahnung von der damaligen Pracht dieses Fürstlichen Lustgartens aus der Zeit zwischen Renaissance und Barock.

Weiter gings wieder an der Westerburg vorbei zum 20 km entfernten Schlanstedt, woselbst auf der Burg (der ehem. preußischen Domäne, von 1836-1945 ununterbrochen bewirtschaftet durch die Familie Rimpau) der heutige Burgherr Brümmer mit kunstvoll von seinen Kindern gefertigten Tischkarten und selbst gebackenem Kuchen die Gäste zum Kaffeetrinken erwartete. Mit informativen Angaben über die Geschichte von Schlanstedt wurden sie vom ehem. Ortsbürgermeister Dr. G.-E. Schuster willkommen geheißen, gefolgt von Herrn Henry Dannenberg, der über die Anfänge der Pflanzenzüchtung in Schlanstedt durch Rimpau, Strube und Behrens berichtete. In zwei Gruppen, geführt vom Burgherrn und seiner 15-jähr. Tochter, folgte ein Gang durch die geschichtsträchtigen Räume der Burg, anschließend die Besichtigung der von Frau O. Braune gestalteten Heimatstube im Dorf mit einer Sammlung ländlichen Materials und Mobiliars sowie Dokumenten zur Saatzuchtgeschichte, die vor wenigen Jahren noch ihren Platz in der Burg hatten, und zuletzt eine Fahrt mit der Feldbahn, die die Fa. Fr. Strube zum Gütertransport von ihren 1915 entstandenen Speichern zum 3 km entfernten Landesbahnhof in Eilenstedt zunächst Pferde-bespannt, danach mit Dieselloks noch bis in die 50er Jahre betrieb und die zurzeit im Rahmen eines agrartechnischen Museums ausgebaut wird.

Zurück in der Westerburg erwartete der Gastgeber, die Fa. Strube, die Teilnehmer zum abendlichen Diner im festlichen Rittersaal der Burg – Gelegenheit nicht nur zu gepflegtem Speisen wie vor Hunderten von Jahren, sondern auch zu jedwedem Gespräch, persönliche, fachliche, kulturelle oder politische Dinge betreffend. Aber auch dabei blieben die Teilnehmer vom Nüsseknacken nicht verschont. Dr. Meinel und seine Frau präsentierten eine Auswahl aus 51 landwirtschaftlichen Rätseln, die der Landwirt und Züchter Wilhelm Rimpau (1842-1903) für seine Kinder und Enkel gereimt und aufgeschrieben hatte, um ihr Interesse an Natur und Landwirtschaft zu fördern („Großvaters landwirtschaftliche Rätsel“). Mit gleicher Absicht verfasste und illustrierte Rimpau 1885 ein „Lehrreiches „Bilderbuch für intensive Landwirtskinder“ (beides: Archiv der Familie Rimpau) in anmutigen Reimen, dessen Titelblatt ihn selbst und seinen 4-jährigen Sohn Wilhelm mit Botanisiertrommel zeigt, beide auf ein pflügendes Ochsengespann zugehend. Darunter schrieb er: „A bove majori discit arare minor“ (Vom großen Ochsen lernt das Pflügen der kleine).

Das Programm des nächsten Morgens begann im großzügig renovierten Laborgebäude in Schlanstedt, das die Fa. Fr. Strube aus ihrem ehem. Eigentum 1992 zurückkaufte, um hier ihr Rübenqualitätslabor und ein modernes In-vitro-Kulturlabor für die Herstellung von DH-Zuckerrüben zu installieren. Mit einem kurzen historischen Abriß zur Fr. Strube Saatzucht eröffnete Dr. Hermann Strube, der alleinige Geschäftsführer des Familienunternehmens, das Vortragsprogramm, welches in der Einladung zu dieser Tagung mit „Anfang und Flucht, Neuanfang und Rückkehr“ überschrieben worden war. In Stichworten kennzeichnete er die Entwicklung wie folgt:

1877: Der Landwirt Friedrich Strube beginnt in Schlanstedt mit der Auslesezüchtung von Zuckerrüben und Weizen.

1897: Sein Sohn Hermann übernimmt den Saatzuchtbetrieb vom Vater und baut in den folgenden zwei Jahrzehnten mit unternehmerischem Weitblick alle wichtigen Saatzuchtgebäude in Schlanstedt mit einer vorbildlichen Einrichtung und in zukunftsweisender Dimension.

1910: Strube beizt als erster Züchter das gesamte Weizensaatgut gegen Steinbrand.

1919: Hermann Strubes Witwe Elisabeth übernimmt nach dem Tode ihres Mannes die Geschäftsführung.

1925: Pachtung der Schlossdomäne Schöningen, Krs. Helmstedt.

1938: Der Sohn Johann Friedrich Strube wird Mitgesellschafter.

1945: Enteignung des Stammsitzes in Schlanstedt; Verlust nahezu des gesamten Zuchtmaterials. Flucht der Familie in die Westzone auf die Domäne Schöningen; dort Wiederaufnahme der Züchtungsarbeit.

1964: Verlegung des Firmensitzes nach Söllingen in eine stillgelegte Zuckerfabrik.

1965: Mitbegründung der Saaten-Union GmbH in Hannover.

1966: Gründung der Zuckerrüben-Zuchtgemeinschaft Strube-Dieckmann und Ausbau der bestehenden Zusammenarbeit mit dem Züchter van der Have in Holland. Zulassung der ersten genetisch monogermen triploiden Hybrid-Zuckerrübensorte ‚Gemo’ in Deutschland für Strube-Dieckmann.

1972: Dr. Hermann Strube übernimmt nach dem Tode des Vaters Johann-Friedrich Strube die alleinige Geschäftsführung.

1982: Beitritt zur Hybridroggen-Zuchtgesellschaft ‚Hybro’ GmbH & Co. KG.

1991: Vereinbarung über Sortenpoolung von Strube und Ackermann und Übernahme der Zweigniederlassung Irlbach in Bayern.

1992: Rückkauf von Teilen des Stammsitzes in Schlanstedt.

1999: Wechselweizen von Strube erhält Markenzeichen (WeW®)

2000: Vorstellung des BlueMobil in Ingeleben.

2001: Zulassung der in Deutschland ersten dreifach krankheitstoleranten Zuckerrübensorte ‚Premiere’.

Diesem Strube-Portrait schloss sich der Vortrag von Herrn Ulrich Dieckmann an über die Fa. A. Dieckmann, ehem. Heimburg, dessen Sohn heute gleichfalls in der 4. Generation die Verantwortung für das Familienunternehmen jetzt in Sülbeck b. Stadthagen trägt. Auch in dieser Familie riß der Krieg tiefste Wunden: Adolf Dieckmann, der Sohn des ersten Zuckerrübenzüchters und Firmengründers als Domänenpächter in Heimburg, wurde 1945 von den russischen Besatzungstruppen verschleppt und kehrte erst nach über 10 Jahren heim, um ein Jahr später an den Folgen dieser Gefangenschaft zu sterben. Seine Frau Anna Marie nahm nach der Flucht aus der sowjetisch besetzten Zone die Züchtung im Krs. Goslar unter primitivsten Verhältnissen wieder auf. 1947 konnten erstmals wieder Samen der bekannten Sorten ‚Dieckmanns E