– 50 Teilnehmer –
Organisation und Leitung:
Prof. Erhard Thomas, Potsdam-Babelsberg
Am 18. Februar 1908 traten die deutschen Pflanzenzüchter im Architektenhause in Berlin zur Gründung der „Gesellschaft zur Förderung deutscher Pflanzenzucht e.V.“ zusammen. Der 100ste Jahrestag, der am 10. März 2008 mit einen Festvortrag von Frau Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bildung und Forschung, im Museum für Gegenwart, ehemals Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50, Berlin, gebührend begangen wurde, war Anlass für die Einladung zur 15. Tagung der GPZ-AG (9) „Geschichte der Pflanzenzüchtung“ am folgenden Tage hier nach Berlin-Mitte in das historische Gebäude der Agrarfakultät der Humboldt-Universität in der Invalidenstraße 42.
Die Tagung eröffnete der Dekan der Fakultät, Prof. Otto Kaufmann, indem er die Tagungsteilnehmer und eine größere Anzahl weiterer Gäste begrüßte und ihnen die derzeitige Situation und Perspektiven der Fakultät vorstellte. Die Fakultät hat die Lehre sehr früh und mit gutem Erfolg auf Bachelor- und Master-Studiengänge umgestellt. Inzwischen haben aber rigide Sparmaßnahmen dazu geführt, dass beim Lehrkörper kaum noch die „kritische Masse“ für die Durchführung einer ordnungsgemäßen akademischen Lehre gegeben ist. Das bringt eine sehr hohe Belastung für die Lehrenden mit sich. Da die agrarwissenschaftlichen Einrichtungen in Ostdeutschland an den Universitäten in Halle und Rostock in ähnlicher Lage sind, entstand ein Projekt, durch einen Verbund dieser Einrichtungen die Lehre auf einem angemessenen Niveau zu gewährleisten. Ähnliches ist im Gartenbaustudium in internatonalem Rahmen u. a. mit Bologna und Budapest geplant. Die Forschungsleistungen der Fakultät finden allenthalben hohe Anerkennung
Anschließend hob Prof. Gerhard Röbbelen noch einmal hervor, dass es die GPZ-AG Geschichte war, die erstmals bereits 2003 auf die Gründung der GFP im Jahre 1908 aufmerksam machte. Sie erarbeitete als Votivgabe für die GFP zu ihrem Jubiläum in nahezu vierjähriger Arbeit eine Dokumentation über „Die Entwicklung der Pflanzenzüchtung in Deutschland (1908-2008)“. Dieses Opus von 70 Autoren, ganz überwiegend Mitgliedern unserer Gesellschaft (GPZ), konnte termingerecht fertig gestellt werden. Unter dem Applaus der Anwesenden überreichte Prof. Röbbelen das erste öffentlich verfügbare Exemplar dem bekannten englischen Agrarhistoriker Prof. Jonathan Harwood, London, der anlässlich eines Forschungsaufenthalts in Berlin an der AG-Veranstaltung teilnahm. Sodann berichtete Prof. Röbbelen aus den Anfängen der GFP kurz über den Ort der GFP-Gründung – das Architektenhaus in Berlin, über den Initiator ihrer Gründung, den damaligen Zuckerrüben-züchter Ludwig Kühle-Aderstedt und seine engagierte und kluge Führung als Erster Vorsitzender der GFP über 25 Jahre bis zu ihrer Auflösung („Gleichschaltung“) durch die Nationalsozialisten 1933 sowie über die Aktivitäten der GFP in diesem ersten Vierteljahrhundert, die deutlich weiter gesteckt waren als das Aufgabengebiet der heutigen GFP.
Der AG-Vorsitzende, Dr. Albrecht Meinel, der leider diesmal an der Tagung nicht teilnehmen konnte, hatte aus dem umfangreichen Nachlass von Wilhelm Rimpau (1842-1903), Schlanstedt und Langenstein, einige Ausschnitte aus dessem Briefwechsel mit den Berliner Professoren Hugo Thiel (1838-1918) und Ludwig Wittmack (1839-1929) ausgewählt, die von dem Urenkel des Züchters, Prof. Dr. med Wilhelm Rimpau, Berlin, sowie den Berliner Professoren Odenbach und Thomas in verteilten Rollen vorgetragen wurden und das wissenschaftliche Klima nacherlebbar machten, in dem sich die Anfänge der modernen Pflanzenzüchtung in Deutschland in den letzten drei Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vollzogen haben.
Nach einer Kaffeepause führte Prof. Thomas unter der Überschrift „Berlin – Standort der Agrarforschung seit 1810“ die Teilnehmer anhand einer kommentierten Zeittafel von den Wurzeln in der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin, gegründet 1700 von König Friedrich I von Preußen auf Vorschlag von Gottfried Wilhelm Leibniz, und der Lehranstalt Albrecht Daniel Thaers in Möglin hin zur Eröffnung der Berliner Universität im Jahre 1810 (ab 1828: Friedrich-Wilhelms-Universität), in der Thaer als Erster auf eine Professur für Kameralistik berufen wurde, die er bis 1819 innehatte. Es folgten 1859 in Landwirtschaftliches Lehrinstitut an der Friedrich-Wilhelms-Universität und1881 die Königlich Landwirtschaftliche Hochschule mit ihrem repräsentativen Gebäude in der Invalidenstraße auf dem Gelände der ehemaligen königlichen Eisengießerei (1881-1934), die strukturellen Einschnitte der Vor- und Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges mit der Eingliederung der Landwirtschaftlichen Institute in Dahlem in die Technische Universität Westberlins bis zur Landwirtschaftlich-Gärtnerischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin heute.
Eingesprengt in dieses Gerüst schilderten 8 Beiträge verschiedener Redner schlaglichtartig die Bedeutung einzelner Berliner Institutionen und in ihnen das Wirken bekannter Wissenschaftler. Prof. Wolfrudolf Laux, Berlin, stellte anhand der Entstehungsgeschichte der Kaiserlichen Biologischen Anstalt für Land- und Forstwirtschaft heraus, wie diese Gründung 1898 einen Wendepunkt in der Wissenschaftspolitik des Deutschen Reiches bezeichnete, indem sich hier aus der Zuständigkeit des Reiches für die Maßnahmen des internationalen Reblausabkommens und dem damit betrauten Kaiserlichen Gesundheitsamt Schritt für Schritt ein gesamtstaatlicher agrarischer Verantwortungsbereich entwickelte, der bis dahin Landesinstituten vorbehalten war. Der Beitrag der späteren Biologischen Reichsanstalt zur Entwicklung des bald weltbekannten Wissenschaftszentrums in Dahlem und die Integration dieser ersten gesamtstaatlichen Forschungseinrichtung für Agrarwissenschaften in dieses „Deutsche Oxford“ geschahen gleichermaßen beispielgebend.
Alle Vortragstexte dieser AG-Tagung sind inzwischen in Heft 74 der GPZ-Reihe „Vorträge für Pflanzenzüchtung“ im Druck erschienen und nachlesbar. Deshalb mag es ausreichen, an dieser Stelle die Themen und Redner der weiteren Beiträge aufzulisten:
– Kurt von Rümker (1859-1940), vorgetragen von seinem Enkel Arnold von Rümker, Berlin;
– Elisabeth Schiemann (1881-1972), eine außergewöhnliche Wissenschaftlerin, und
– Das Institut für Vererbungs- und Züchtungsforschung in Berlin-Dahlem unter dem Direktorat von Hans Kappert (1931-1957), beide Beiträge zusammengestellt von Wolfgang Horn, Freising, und Walter Hondelmann, Großhansdorf (Vortragender);
– Die Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften zu Berlin, AdL (1951-1991), ein Beitrag von Karl Krieghoff, Dorf Wehlen;
– Vererbungs- und Züchtungsforschung an der Humboldt-Universität nach 1950 – Mudra, Zimmermann und die Folgen, berichtet von Erhard Thomas, Potsdam;
– Das Institut für Vererbungs- und Züchtungsforschung / Angewandte Genetik in Berlin-Dahlem 1958-2000, Auszüge aus einer 2003 von Gertrud Linnert † und Werner Odenbach, Berlin, verfassten Instituts-Chronik, und
– Das Dahlemer Institut heute, von Thomas Schmülling, dem derzeit zuständigen Institutsleiter.
Für die Begleitpersonen hatte Frau Thomas nachmittags ein Kulturprogramm vorbereitet mit Führungen im Brechthaus und über den Dorotheenstädtischen Friedhof bzw. im Centrum Judaicum, der restaurierten Berliner Synagoge. Am Abend versammelten sich die Tagungsteilnehmer zu einem geselligen Beisammensein im nahen Hotel Joachimshof an der Invalidenstraße.
Die Themen der AG-Geschäftssitzung an kommenden Morgen waren unspektakulär.
– Prof. Röbbelen dankte noch einmal allen an der Dokumentation (Vortr. Pflanzenzüchtg. 75) beteiligten Autoren für ihre ungewöhnliche, engagierte Kooperation, durch die ein Buch zustande kam, das die erste Monographie von 1910 über die deutsche Pflanzenzüchtung von Paul Hillmann würdig fortsetzen dürfte.
– Schon fast als Routine bat er um Zusendung jedweder biographischen Dokumente – Laudationes, Jubiläumsberichte, Nachrufe, historische Recherchen – , an das GPZ-Sekretariat, woselbst diese sorgsam archiviert und vor dem Vergessen bewahrt werden. Für ein umfassenderes Archiv oder gar Museum der deutschen Pflanzenzüchtung haben die Gespräche Beteiligter bisher noch keine realisierbare Lösung gefunden; aber das Thema wird nach wie vor verfolgt. – Zunächst wird das GPZ-Sekretariat am 1. Oktober diesen Jahres seinen Standort wechseln: Im Julius-Kühn-Institut in Quedlinburg hat es sehr freundlich und hilfreich unterstützt ein neues Domizil gefunden.
– Für die Zukunft der GPZ-AG Geschichte gilt es, neues Engagement zu entwickeln: Der schon im Vorjahr gefasste Beschluss, dass jedes Mitglied zur nächsten Tagung ein neues Mitglied mitbringt, wird angesichts des steigenden Durchschnittsalters nachdrücklich wiederholt. Auch hat inzwischen der zweite AG-Vorsitzende, Graf Hardnak von der Schulenburg, aus gesundheitlichen Gründen gebeten, ihn von diesem Ehrenamt zu entbinden. So wird 2009 auch eine Neuwahl im Vorsitz zu erörtern sein.
– In Vertretung des AG-Vorsitzenden Albrecht Meinel fragt Röbbelen nach Vorschlägen für die nächstjährige Tagung bezüglich Orten und Themen. Sein schon vormals gemachter Vorschlag, in Hohenheim zu tagen und auf dem Weg dorthin das Samenhändlermuseum in Gönningen, ggf. auch eine der Blumenzuchtstätten im Stuttgarter Raum, z.B. die Firma Klemm und Sohn, zu besuchen, wird von den Anwesenden überwiegend als nicht außerhalb ihrer Reisemöglichkeiten gesehen.
Einen überaus anregenden Abschluss fand die Tagung mit einem Besuch in dem der Agrarfakultät unmittelbar benachbartem Naturkunde-Museum (Invalidenstr. 43). Nach einer Einführung durch den stellvertretenden Generaldirektor Dr. Ferdinand Damaschun wurden die Teilnehmer im Innenhof des Museums mit seinem Riesensaurierskelett empfangen und in zwei Gruppen von hoch kompetenten Mitarbeitern mit vielen spannenden Informationen über die Entwicklung der Lebensformen dieser Erde durch die letzten ein- bis zweihundert Millionen Jahre geführt. Angesichts der Fülle des pädagogisch vorbildlich Demonstrierten reichten die verfügbaren 2 ½ Stunden nur für einen ersten Eindruck und den dringenden Wunsch zum Wiederkommen aus.
(E. Thomas, Potsdam, und G. Röbbelen, Göttingen)