Bericht der 18. Tagung der AG (9) Geschichte der Pflanzenzüchtung am 15./16. Juni 2011 in der Zuchtstation Klein Wanzleben der KWS Saat AG

– 44 Teilnehmer –

Vorbereitung und Organisation:
Dr. W.Joachim, Dr. E.Junghans


Leitung:
Dr. A.Meinel, Heimburg

Zum 2. Mal tagte die Arbeitsgruppe „Geschichte der Pflanzenzüchtung“ nach 1995 in dem weltbekannten Züchtungsstandort in der Magdeburger Börde, dessen Ortsname zwischenzeitlich offiziell durch die Bezeichnung „Zuckerdorf“ ergänzt wurde. – Nach Begrüßung der Teilnehmer durch den Leiter der Station Dr. Joachim und den Vorsitzenden übernahm Herr Prof. Weber (Halle) die Moderation des Vortragsprogrammes.

Dr. E. Junghans, selbst langjährig im Qualitätslabor Klein Wanzleben und von 1991 bis 2001 als dessen Leiter tätig, sprach über Die Zuckerrübenzüchtung in Klein Wanzleben von 1859 bis 1945 – ein historischer Rückblick. Seit Jahren widmet er sich der Erschließung des KWS-Archives und gestaltete seinen Vortrag mit Hilfe historischer Fotografien und Dokumente als interessant kommentierte Bildfolge, mit der er die Geschichte der KWS (zuletzt publiziert von B. Meißner „Erfolg kann man säen. 150 Jahre KWS“, Wallstein-Verlag 2007) darstellte. Dabei fand das 1902 von der Aktiengesellschaft errichtete Laborgebäude bis zu seinem Verfall ab Mitte 1991 und Abriss durch die Nordzucker AG im Jahr 2008 besondere Erwähnung (Junghans, E., 2010: Der Abbruch des Laborgebäudes in Klein Wanzleben – Ende einer Institution. Sugar Industry/ Zuckerindustrie 135, 181-184). Abschließend folgten kurze Angaben zur Übersiedlung/Verlagerung der KWS nach Einbeck am Ende des 2. Weltkrieges, zur Eingliederung der damals in Klein Wanzleben verbliebenen Zuchtkapazitäten in die DSG (Deutsche Saatzuchtgesellschaft) der sowjetisch besetzten Zone und zur Bildung des Institutes für Pflanzenzüchtung Kleinwanzleben der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR 1952 mit den Direktoren Prof. O. Heinisch 1952 – 1961, Prof. G. Gerdes 1962 – 1968 und Prof. J. Oehme 1968 – 1990. (s. Röstel, H.J., 2001: Die Zuckerrübenzüchtung in der DDR. Zur Arbeit der Züchtergemeinschaft Betarüben. Vortr. Pflanzenzüchtung 51, 117 – 131). – Als 2. Vortrag  folgte die Vorstellung der Zuchtstation Klein Wanzleben durch den Stationsleiter Dr. W. Joachim. Mit Aufnahmen von Zuchtarbeiten an Blüten-/Fruchtständen von 4 m hohen Sonnenblumen (von einer Leiter aus) und von ähnlich hohen Mais- und Sorghum-Pflanzen wurde zu Anfang eindrucksvoll gezeigt, dass gegenwärtig Zuchtprogramme bei Mais und Energiepflanzen (Leiter Dr. G. Zieger) neben der Zuckerrübenzüchtung (Leiter Dr. W. Joachim) intensiv bearbeitet werden. – Der Referent blickte einleitend zurück auf die Anfänge der eigenen Tätigkeit im Institut Kleinwanzleben im Jahr 1974 in der Zuchtabteilung von Prof. Röstel und würdigte dessen Zuchterfolge, insbesondere bei der Züchtung von monokarpen Sorten. – Die gegenwärtigen Aufgaben der KWS Zuchtstation Klein Wanzleben auf dem Gebiet der Züchtung (160 ha) umfassen die Mitarbeit in den Zuckerrüben-Züchtungsprogrammen der KWS, die Maiszuchtprogramme Nordwest- und Nordost-Europa sowie das Energiesorghum-Zuchtprogramm und darüber hinaus die Analyse der Inhaltsstoffe von Rüben in dem neu errichteten KWS Zentrallabor. – Die Abteilung Landwirtschaft (1527 ha) dient der Saatgutvermehrung und ist gleichzeitig Modellbetrieb für die Demonstration neuer Sorten und Anbauverfahren (u.a. Fruchtfolgen mit Energiepflanzen). – In der Zuchtstation sind gegenwärtig ganzjährig 40 Personen und im Jahresdurchschnitt 10 Saisonkräfte beschäftigt. – Mit dem Vortrag Über moderne Methoden der Pflanzenzüchtung beendete Frau Dr. A. Matzk (Leiterin Regulatory Affairs Biotechnology der KWS in Einbeck) das Vortragsprogramm. KWS gehört zu den weltweit operierenden Unternehmen der Saatgutbranche, die mit hohen Aufwendungen für Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet gentechnischer Verfahren in Kombination mit intensiven Zuchtprogrammen daran arbeiten, den Züchtungsfortschritt zu erhöhen, zu beschleunigen und neue Zuchtzielstellungen erfolgreich zu bearbeiten. Damit leistet die KWS einen wichtigen Beitrag zu einer signifikanten Erhöhung der pflanzlichen Produktion, um dadurch den sich abzeichnenden globalen Veränderungen (Anwachsen der Weltbevölkerung, rel. Abnahme der landwirtsch. nutzbaren Fläche, Begrenzung der Wasser-Ressourcen, Klimawandel und –schutz)  nachhaltig begegnen zu können. Erläutert wurden die Grundsätze der KWS bei Anwendung der Gentechnik, die internationalen Zuchtfortschritte bei gv Zuckerrüben und Mais, die aktuellen Forschungsprojekte sowie die Problematik „Europa verliert den Anschluss“, wobei aber KWS die Forschungs- und Entwicklungskapazitäten in Deutschland weiter ausbaut. – Die verfügbare Zeit für Anfragen der Teilnehmer nach dem sehr informationsreichen Beitrag erwies sich als nicht ausreichend, so dass den Interessenten demnächst u. a. die Publikationsreihe „KWS im Dialog“ zugesandt werden wird, wofür vielmals gedankt sei.

Die Tagungsteilnehmer nutzten anschließend die Möglichkeit, im ‚Haus Biologie‘ eine Firmenausstellung sowie das Firmenarchiv und im Gebäude der Gemeindeverwaltung die neu gestaltete Ausstellung zu Geschichte und Entwicklung des Zuckerdorfes Klein Wanzleben zu besichtigen. In anschaulicher Weise vermitteln Exponate die Veränderungen, die sich seit der Gründung der Zuckerfabrik im Jahre 1838 im Ortsbild, in der Landwirtschaft, im sozialen und politischen Leben vollzogen. Mit besonderem Interesse wurden diejenigen Exponate betrachtet, die – seit der bahnbrechenden Einführung des Polarimeters zur direkten Zuckergehaltsbestimmung (1862) – im historischen Kontext die Modernisierungsschritte in der Zuckerrübenzüchtung, der Zuckertechnologie und Saatgutproduktion bis in die Gegenwart belegen sowie auch Dokumente über das Engagement der Kleinwanzlebener Saatzucht in der Futterrüben- und Getreidezüchtung.

Am Abend fand man sich auf Einladung der KWS SAAT AG zu Abendessen und geselligem Beisammensein bei angeregten Gesprächen im historischen Casino zusammen, das heute als ‚Hotel & Restaurant CASINO Zuckerdorf Klein Wanzleben“ firmiert.

Am Morgen des zweiten Tages konnten sich die Tagungsteilnehmer während einer kurzen Feldrundfahrt von dem hohen Niveau der Feldbewirtschaftung und der ausgezeichneten Qualität der Versuchs- und Demonstrationsflächen überzeugen. Erläuterungen von Dr. Joachim zu den Feldbeständen und Versuchsflächen und besonders zur Silhouette des Ortes (u.a. ehem. RgW-Bullenmastanlage, Ruine des ehem. DSG-Speichers, die moderne Zuckerfabrik NORDZUCKER mit einer täglichen Verarbeitungskapazität von 16000 t Rüben, das Bio-Ethanolwerk und die im Bau befindliche Biogasanlage) verdeutlichten die progressive Entwicklung dieses seit nunmehr über 150 Jahre existierenden Zentrums von Pflanzenzüchtung und höchster Produktivität im Pflanzenbau in der Magdeburger Börde.

In der sich anschließenden Arbeitssitzung informierte der Vorsitzende über das lt. Beschluss der 17. Tagung erarbeitete Memorandum „Für den Aufbau eines historischen Archivs der Pflanzenzüchtung in Deutschland“ (Brückner, LHASA Wernigerode; Röbbelen, Kley, Meinel). Der Vorstand des Bundes Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) schätzte diese Initiative nach Auskunft von Dr. Bulich als „gute Initiative“ ein, jedoch gingen bisher aus den Mitgliedsbetrieben bisher keine Rückäußerungen ein, die eine konkrete Unterstützung bei der Bewahrung züchterischer Archivalien anfordern. Daher wurde beschlossen, dass eine Gruppe von Mitgliedern der AG (Ahlheim, Bulich, Junghans, Kley, Röbbelen, Meinel) eine Übersicht erarbeiten wird, in der vorrangig diejenigen Betriebe oder Personen erfasst werden, die aus Kenntnis der Umstände vorrangig zu kontaktieren sind, um Informationen zu Umfang, Standort etc. von historisch wertvollen Archivalien zur Geschichte der Pflanzenzüchtung zu erhalten. Auf Grund dieser Erhebung könnten Mitglieder der AG9 dann im Sinne des Memorandums unterstützend wirksam werden. – Zur Vorbereitung der 19. Tagung 2012 hat Prof. Weber bereits Gespräche u.a. mit Dr. Klaus Wenig von der DGGTB (Deutsche Gesellschaft für die Geschichte der Theorie und Biologie e.V.) geführt mit dem vorläufigen Ergebnis, dass eine Gruppe von historisch interessierten Mitgliedern dieser Gesellschaft  eine gemeinsamen Tagung mit der AG9 (GPZ) 2012 in Halle befürworten. Der Gedanke, auf gemeinsamen Veranstaltungen beider Gesellschaften erstmals die gemeinsamen Schnittmengen von Biologie, speziell Botanik und Pflanzenzüchtung seit deren wissenschaftlichen Anfängen zu bearbeiten, entwickelte sich  bereits im vergangenen Jahr aus Kontakten von Prof. Odenbach zu Prof. Höxtermann (DGGTB). Zur weiteren Konkretisierung wird Prof. Weber gebeten, mit Vertretern der DGGTB ein Treffen (Teilnahme seitens der AG9: Weber, Odenbach, Röbbelen, Meinel) zu vereinbaren, auf dem Vorschläge zu Programm und Termin (Vorschlag: 13./15.03.2012) erarbeitet werden könnten. – Für die 19.Tagung 2012 ist die Wahl eines neuen Vorsitzenden vorgesehen. Der Vorsitzende erklärte dazu, dass er nach zwei Wahlperioden nicht mehr kandidieren wird. Im Protokoll der Vorstandssitzung der GPZ vom 30.03.2011 schlägt der Vorstand Herrn Dr. R. von Brook als neuen Leiter der AG9 vor. Dieser Vorschlag wird von den Anwesenden ausnahmslos unterstützt. Weitere Vorschläge sind bitte bis zum Jahresende 2011 dem Vorsitzenden zu übermitteln. – Zeitgleich mit der Arbeitssitzung der AG-Mitglieder demonstrierte  Dr. Joachim den Begleitpersonen die Züchtung männlich steriler Rüben in den Zuchtgewächshäusern und führte durch die modernen Saatgut- und Kühllagerräume der Zuchtstation.

Zur Besichtigung des Schaugartens der BioTechFarm Üplingen wurden die Teilnehmer nach ca. halbstündiger Autofahrt von Herrn Dr. Schrader in dem besonders geschützten Teil des Versuchsfeldes mit den Freisetzungsversuchen gentechnisch veränderter Pflanzen begrüßt. Unter dem Motto „Pflanzenforschung erleben“ werden der Öffentlichkeit auf dem Stiftsgut Üplingen seit 2007 die Ergebnisse moderner Züchtungsprogramme sowie weitere innovative Forschungsbereiche der Pflanzenforschung demonstriert und erläutert. Damit ist Üplingen einer der wenigen Standorte in der BRD, in dem gegenwärtig Freisetzungsversuche gentechnisch veränderter Pflanzen durchgeführt werden. Auch ist Üplingen einer der wenigen Orte, an denen eine Diskussion zwischen Befürwortern und Gegnern moderner Züchtungsmethoden am Objekt möglich ist. – Die Besichtigung begann an einem agrotechnischen Versuch mit herbizidresistenten gv Zuckerrüben („Round up ready“), führte vorbei an Freisetzungsversuchen brandresistenter Weizen einer Züricher Forschergruppe zu Parzellen mit gentechnisch verändertem Mais der nächsten Generation (u.a. Einlagerung mehrerer gentechnisch veränderter Merkmale). Ein Versuch mit Maishybriden, ihren Elternformen und Nachbaugenerationen soll zu einem späteren Besichtigungszeitpunkt besonders Landwirten die Bedeutung des Hybrideffektes eindrucksvoll demonstrieren. – Im „Energiegarten“ werden die Zuchtergebnisse bei Energierüben, Mais, Sorghum und Sonnenblumen sowie pflanzenbauliche Möglichkeiten für Fruchtfolgen zur Energiepflanzenproduktion demonstriert. – Nach der Besichtigung konnten sich die Tagungsteilnehmer im Herrenhaus des Stiftsgutes auf Einladung des Gastgebers, der KWS SAAT AG Zuchtstation Klein Wanzleben, für die Heimreise nochmals stärken.

Zum Schluss dankte der Vorsitzende im Namen der Teilnehmer den Herren Dr. Joachim und Dr. Junghans vielmals für die interessante und ausgewogene Gestaltung des Tagungsprogrammes, ihren Mitarbeitern für die perfekte Organisation und der KWS SAAT AG für die erwiesene Gastfreundschaft.

(A.Meinel, Heimburg)