Bericht der 23. Tagung der AG (9) Geschichte der Pflanzenzüchtung am 22. Juni 2016 bei der Nordsaat in Böhnshausen und am 23. Juni im IPK Gatersleben

– 39 Teilnehmer –

Die Tagung begann um 12.30 Uhr bei der Nordsaat in Böhnshausen mit einem Imbiss. Anschließend stellte Frau Dr. Lissy Kuntze die Firma Nordsaat vor, die Sommer- und Wintergeste, Winterweizen, Triticale und Sommerhafer züchtet. Im ersten Vortrag berichtete Dr. Helmut Knüpffer vom IPK Gatersleben über „Mirza Gökgöl – Weizenforscher mit aserbaidschanisch-deutsch-türkischer Biographie“.

Anschließend stellte Dr. Rolf Bielau aus Quedlinburg die „Agrarwissenschaftler und Pflanzenzüchter in Saatzuchtunternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen vor und nach 1945 in Quedlinburg“ vor. Die Pflanzenzüchtung begann in Quedlinburg schon sehr früh. Dr. Bielau stellte eine große Zahl an Züchterpersönlichkeiten im Bild und mit Lebensdaten vor, dazu auch viele alte Dokumente und Aufnahmen von den Zuchtstätten in früherer Zeit. Die Fülle war beeindruckend.

Der dritte Vortrag von Dr. Klaus Richter aus Hadmersleben brachte einen „Vergleich der Zulassungspraxis des Bundessortenamtes in der BRD und der Zentralstelle für Sortenwesen in der DDR aus der Sicht eines Getreidezüchters“. Große Ähnlichkeiten bestanden hinsichtlich der zu bewertenden Eigenschaften, allerdings waren die regionalen Anforderungen z. B. hinsichtlich der Winterfestigkeit unterschiedlich. Was aber besonders auffiel, waren die unterschiedlichen Anzahlen an Anmeldungen und Zulassungen sowie Unterschiede in der Zahl der Prüforte. Im Vergleich zur Prüfung durch das Bundessortenamt wurden beim Amt für Sortenwesen der DDR wesentlich weniger Kandidaten in die erste Wertprüfung einbezogen, dafür aber von Anfang an sehr umfangreich geprüft. Es erfolgte auch eine sehr schnelle Einengung auf ganz wenige Neuzüchtungen, die dafür sehr schnell in das Anbauprogramm einbezogen wurden. Die signifikant verschiedenen Sorten-Zulassungszahlen ebenso wie das weit größere Prüfortnetz in der kleineren DDR sind letztlich begründet in der unterschiedlichen Agrarpolitik und -struktur in Ost und West. Es wurde deutlich, dass der Wettbewerb der privaten Züchter in der Bundesrepublik zu einer hohen Anmeldung an Sortenkandidaten und auch zu einer größeren Zahl an Sortenzulassungen führt. Davon setzen sich allerdings dann auch nur wenige Sorten im Anbau durch.

Nach einer Kaffeepause konnten sich die Teilnehmer zunächst auf einer Feldrundfahrt einen Überblick über den umfangreichen Anbau im Feld verschaffen. Das bezieht sich auf die Erstellung und Vermehrung von Zuchtmaterial und auch auf Leistungsprüfungen. Anschließend stellte Dr. Ralf Schachschneider seine Erfahrungen als erfolgreicher Züchter bei der Nordsaat unter dem Thema „Züchtung selbstbefruchtender Getreidesorten – Rückblick und Ausblickaus der Sicht eigener 40 jähriger Erfahrungen“ vor. Dabei fand ein Übergang auf die Nutzung der Doppelhaploidentechnik bei allen bei der Nordsaat bearbeiteten Getreidearten mit Ausnahme des Sommerhafers statt. Eine wichtige Rolle spielt auch die Einführung von Hybriden bei Winterweizen auf der Basis von Gametoziden. Mit Hybriden lassen sich Ertragszuwächse und Saatgutwechsel erreichen. Auch zur Erzeugung von Hybriden mittels CMS hat die Nordsaat Erfahrungen gesammelt. Ein wesentliches Problem stellt für die Züchtung die Bewältigung einer großen Zahl an Prüfgliedern dar, wie zuvor bei der Feldrundfahrt schon deutlich wurde. Hier nutzt die Nordsaat verfügbare viele neue Techniken wie Ansteuerung der Parzellen über GPS und die Entwicklung leistungsfähiger Feldtechnik zur Einsparung von Arbeitskräften bei gleichzeitiger Erhöhung der Präzision. Beispielhaft zeigte Dr. Schachschneider die Entwicklung der Technik für die Gamatozidspritzung zur Erzeugung von Hybridsaatgut.

An den Vortrag von Dr. Schachschneider schloss sich eine Podiumsdiskussion zu dem Thema „Die Entwicklungsgeschichte der Pflanzenzüchtung und Genetik von 1850 bis 2050″ an. Ziel dieser Diskussionsrunde sollte es sein, die AG Geschichte für einen breiten Kreis an künftigen Teilnehmern attraktiv zu machen.

Ein Punkt wurde schon in dem Vortrag von Dr. Klaus Richter angeschnitten: Wie fällt eine fachliche Bewertung der unterschiedlichen Zahlen an Sortenzulassungen in der DDR und der Bundesrepublik aus? Ein anderer Punkt betrifft die Einstellung der Gesellschaft zu neuen Verfahren in der Züchtung. Hier stoßen positive Bewertungen und schroffe Ablehnung hart aufeinander. Dies ist oft darin begründet, dass zunächst sehr hohe Erwartungen erzeugt werden, die erst im weiteren Verlauf auf ein in der Wirklichkeit erreichbares Maß zurückgeführt werden. Es wäre wünschenswert, frühzeitig zu vorurteilsfreien Einschätzungen zu kommen. Neue Verfahren erfordern immer erst mal einen Vorlauf, in dem Erfahrungen gesammelt werden, die dann auch dazu führen können, dass ein Verfahren nicht weiter verfolgt wird. Dabei sind bei einem Vergleich verschiedener Verfahren auch die Kosten zu berücksichtigen.

Einen breiten Raum nahm die Frage nach der Bedeutung der Geschichte in der Pflanzenzüchtung ein. Alle jetzt eingesetzten Verfahren haben eine Geschichte. Manche Verfahren setzen sich sehr schnell durch, andere haben sehr lange Vorlaufzeiten. Es könnte eine künftige Aufgabe der AG auf den nächsten Veranstaltungen sein, für spezielle Teilaspekte wie die Erzeugung von haploiden oder die Entwicklung molekularer Marker, der Analytik, der Informationstechnologie im Zuchtprozess und der Zuchtgartentechnisierung seit Einführung von restsaatgutlosen Drillmaschinen und Parzellenmähdreschern in den 1960er Jahren bis zum gegenwärtigen Kenntnisstand zu recherchieren und darzustellen und für eine Publikation in der Reihe ‘Vorträge für Pflanzenzüchtung’ vorzusehen.

Das geringe Interesse von Studenten an Geschichte hat verschiedene Ursachen. Im Fächerkanon der Hochschulen spielt die Agrargeschichte kaum noch eine Rolle. Dass aber ein Interesse geweckt werden kann, zeigt in Berlin die Nachfrage eines entsprechenden Vorlesungsangebotes durch die Studenten. Auch persönliche Gespräche erfahrener Züchter mit den jungen Leuten kann diese dazu führen, sich für die Entwicklung zum gegenwärtigen Betriebsablauf zu interessieren.

Der erste Tag klang aus bei einem Abendessen in der Villa Heine in Halberstadt.

Am zweiten Tag wurde in der Arbeitssitzung der AG bei der Nordsaat diskutiert, wie die weitere Arbeit der AG zu gestalten ist. Hier steht die Wahl eines neuen Vorsitzenden an. Zunächst wird Prof. Weber vorbereitende Gespräche für die nächste Tagung führen. Dabei ist auch die Terminfrage zu klären. Für Züchter stellt die Vegetationszeit eine besondere Arbeitsspitze dar, Hochschullehrer sind andererseits an Vorlesungszeiten gebunden.

Nach der Arbeitssitzung wurden beim IPK Gatersleben noch zwei Projekte zur Phänotypisierung vorgestellt. Prof. Thomas Altmann zeigte den Teilnehmern die Lemnatec- Anlagen, in denen Einzelpflanzen im Gewächshaus unter weitgehend gesteuerten Bedingungen automatisch untersucht werden können. Die Pflanzen werden durch das Gewächshaus zu einem Kamerasystem geführt und anschließend mit Topf gewogen. Je nach Fragestellung kann dabei das fehlende Wasser ergänzt werden. Diese Anlage erlaubt, die tägliche individuelle Entwicklung des Phänotyps der Pflanzen über eine Vielzahl an Parametern zu erfassen. Da von diesen Pflanzen auch das Genom untersucht wurde, lässt sich hier ein Zusammenhang zwischen Phänotyp und Genotyp analysieren. Dr. Ralf Sammler zeigte die Phänotypisierung auf dem Feld mittels eines GPS-gesteuerten Gerätes, das Pflanzen unter Freilandbedingungen erfasst und dabei Spektralaufnahmen über einen weiten Spektralbereich weit über das sichtbare Licht hinaus macht. Dabei können u. a. einzelne Inhaltsstoffe analysiert werden, da über Referenzwerte zuvor Korrelationen zwischen Spektrum und Inhaltsstoffbestimmt wurden. Allerdings sind anders als in der Lemnatec-Anlage die schlecht kontrollierbaren äußeren Bedingungen mit einzubeziehen. Über Düngestreifen, die in verschiedenen Bodentiefen eingebracht werden, kann auch der zeitliche Verlauf der Wurzelentwicklung erfasst werden.

Den Abschluss bildete ein der Besuch des neu gestalteten Casinos.

W. E. Weber (Halle)