Bericht der 7. Arbeitstagung der AG im Institut für Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung, Universität Kiel vom 1./2. März 2001 in Kiel

– 44 Teilnehmer –

Organisation:
PD Dr. Thomas Schmidt, Kiel

 Herr Schmidt begrüßte die anwesenden Cytogenetiker aus 8 verschiedenen Ländern und hob erfreut die Teilnahme von Mitarbeitern aus 4 praktischen Züchtungsunternehmen hervor. Dem schloss sich Prof. Jung als Direktor des gastgebenden Institut an, das erst vor wenigen Tagen aus einem Altbau in die 8. und 9. Etage des Biozentrums der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel umziehen konnte. Die Teilnehmer konnten im Verlauf der Tagung auch selbst einen ersten Blick (über Umzugskartons hinweg) in die modern eingerichteten und gut ausgestatteten neuen Labore werfen und waren besonders beeindruckt von der Einrichtung der 5. Etage des Gebäudes als “Zentrallabor für Biochemie und Molekularbiologie” (ZMB), in welches mehrere einschlägige Institute der Universität ihre Großgeräte zu gemeinsamer Nutzung eingebracht hatten.

Das Vortragsprogramm der Tagung umfaßte drei Themenbereiche:

  1. Molekulare Cytogenetik in Genomanalyse und Pflanzenzüchtung
  2. Chromatin und Chromosomendomänen
  3. Neue methodische Entwicklungen für die Chromosomenanaly

Im 1. Abschnitt wurden 5 Beispiele vorgestellt, die den enormen methodischen Fortschritt bei der Fluoreszenzmarkierung von Chromosomen und Chromosomensegmenten illustrierten, der heute bereits sehr nützliche züchterische Anwendungen vor allem in der genetischen Analyse und Selektion bei interspezifischen Bastarden ermöglicht. So berichtete H. Winter, Berlin, über seine Arbeit an Bastardnachkommen von Raps aus Kreuzungen mit Sinapis arvensis und vor allem mit Coincyya monensis mit einer praktisch hochinteressanten Phoma-Resistenz aus der Fremdspezies, in der er mit genomischer in situ-Hybridisation (GISH) die eingefügten Segmente im Rapsgenom sicher identifizieren und inzwischen auch resistente (teils DH-) Linien mit guter Leistungsfähigkeit selektieren konnte. Anschließend trug O. Schrader, Quedlinburg, über Zwiebel x Porree-Bastarde vor, in denen sich gleichfalls die Chromosomen aus den beiden elterlichen Genomen eindeutig differenzieren ließen. Neben Chromosomenzahlvarianten wurden, z.T. somaclonal bedingte, Karyotypänderungen, wie Deletionen des NOR-Segments auf Chromosom 6, oder verschiedene Telosome und Translokationen eindeutig identifizierbar. Züchterisch sollen die Arbeiten mittels zwiebelspezifischer RAPD-Marker, als ersten Schritt für eine Hybridzüchtung, die Übertragung des CMS-Plasmas der Zwiebel in den Porree erleichtern. Ein Beispiel für die Verbesserung des Auflösungsvermögens der Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung wurde von Frau C. Desel vorgestellt. Diese Arbeiten wurden in Kiel an Beta-Arthybriden durchgeführt.

Frau Desel zeigte, wie mit dem FISH-Verfahren züchterisch erwünschte Chromosomensegmente für die Cercospora- (aus Beta corolliflora) bzw. Nematoden-Resistenz (aus Beta procumbens) markiert wurden. Besonders eindrucksvoll war die vergleichende FISH-Analyse des Nematoden-Resistenzgens, in der eine “single copy”-Gensequenz von 684 bp auf einem terminalen Segment eines Beta-Chromosoms sicher nachgewiesen werden konnte. In einer monosomen Additionslinie wurde das Nematoden-Resistenzgen ebenfalls terminal auf dem Wildrübenchromosom detektiert. Die Lokalisierung des Gens in B. procumbens ermöglichte schließlich Rückschlüsse über die Entstehung nematodenresistenter Zuckerrüben. Zunächst vorwiegend der Genomanalyse dienten Untersuchungen von Frau Staginnus, Frankfurt, an der Kichererbse, Cicer arietinum; wie ihre Inventur ergab, enthält dieses Genom zahlreiche ‘repeats’ als Satelliten und viele Retrotransposons des Typs Ty1-copia- und Ty3-gypsy. Nicht zuletzt konnte R. Snowdon aus Giessen mittels GISH- und FISH-Technik grundlegende Einsichten zur Genom-Evolution in der Gattung Brassica geben und zeigen, wie diese Methode zur Markierung von chromosomalen Introgressionen und Transgenen beim Raps nutzbar ist.

Im 2. Themenabschnitt übernahm Prof. J. S. Heslop-Harrison, Leicester, UK, die Diskussionsleitung. T. Schmidt, Kiel, stellte neue Ergebnisse zur Struktur der für die Chromosomensegregation und Aufrechterhaltung der genetischen Information essenziellen Centromere vor. Über die molekulare Struktur dieser Chromosomendomänen ist bei höheren Pflanzen nur sehr wenig bekannt. Ein geeignetes experimentelles System für die Centromer-Untersuchung ist die Beta-Chromosomenmutante PRO1, die im Rahmen der Erstellung nematodenresistenter Zuckerrüben selektiert wurde und ein monosomes Chromosomenfragment aus B. procumbens enthält. Das Centromer dieses Beta-Minichromosoms erstreckt sich über ungefähr 350 kb und besteht überwiegend aus zwei Satelliten-DNA-Familien und hochamplifizierten Ty3-gypsy-Retrotransposons. In vergleichenden FISH-Analysen konnte gezeigt werden, daß der Verlust von Satelliten-DNA zu einer reduzierten Transmission des Minichromosoms in der Meiose führt. Die Histon-Acetylierung während des Zellzyklus untersuchte Frau Z. Jasencakova, Gatersleben, als möglichen Steuerungsmechanismus der Mitose: Die Acetylierung von H4 war bei Vicia faba und Gerste in der mittleren S-Phase im Euchromatin und in der späten S-Phase im Heterochromatin besonders hoch. Mittels poly- und monoclonaler Antikörper analysierte R. ten Hopen, Gatersleben, die Proteine pflanzlicher Centromere und stellte aufschlußeiche Homologien mit animalen sowie Hefe-Kinetochoren fest. Offenbar sind diese Proteine in der Evolution sehr früh entstanden und hochgradig konserviert worden.

Für den 3. Teil des Programms, moderiert vom AG-Leiter I. Schubert, Gatersleben, gab J.S. Heslop Harrison den Auftakt mit anschaulichen Beispielen aus seinen cytogenetischen Untersuchungen zur Biodiversität und Genomevolution insbesondere bei Getreidearten. Mit den heute verfügbaren Methoden sind Genomveränderungen auf allen Ebenen, von der (seltenen!) ‘single nucleotid’-Mutation über Segment-Duplikationen und -Deletionen bis zu Genom-‘rearrangements’ und Polyploidie mit eindrucksvoller Sicherheit (in der Hand eines solchen Experten) identifizierbar. Gegenstand aktueller Analyse sind Retroelemente, die in Pflanzengenomen bis zu 50% der DNA ausmachen können; ihnen kommt funktionell und züchterisch besonderes Interesse zu, weil sie offenbar unter Stress aktiviert werden können oder auch (in anderen Fällen) in das Genom integrierte Retroviren darstellen. Über Erfahrungen mit Flow-Cytometrie zur Messung von Genomgrößen bei 9 sehr divergenten Pflanzenarten von A. thaliana mit 0,3 pg DNA über Pisum mit 8,8 pg bis Allium mit 35,5 pg DNA berichtete Frau B. Vilhar, Ljubljana. Einen abschließenden Höhepunkt des Vortragsprogramms bot der Beitrag von M. Lysák aus I. Schuberts Arbeitsgruppe in Gatersleben. In den vergangenen Jahren gelang es verschiedenen Arbeitsgruppen, mit ‘chromosome painting’ zuerst beim Menschen und dann auch bei anderen Säugern, Vögeln und Insekten einzelne Chromosomen individuell “anzufärben”. Aber bei Pflanzen waren, vermutlich wegen des Übermaßes und der Verteilung repetitiver Sequenzen, bisher alle diesbezüglichen Versuche vergeblich gewesen; selbst bei Haplopappus gracilis (2n=4) waren die beiden Chromosomen stets homogen gefärbt. In einem erneuten Versuch machten sich I. Schubert und Mitarbeiter die Vorteile von Arabidopsis thaliana zunutze (wenig repetitive Sequenzen, niedrige Chromosomenzahl, Verfügbarkeit von chromosomenspezifischen BAC-contigs aus dem Genomsequenzierungsprojekt). Zum ersten Male bei Pflanzen gelang ihnen hier ein ‘chromosome painting’ mit Pachytänchromosomen: Für das subtelocentrische Chromosom 4 konnten für den kurzen und den langen Arm 18 bzw. 113 BACs simultan lokalisiert werden. Durch diese aufwendige Fluoreszenzmarkierung und Hybridisierung ließ sich die Position eines einzelnes Arabidopsis-Chromosoms im Pachytän und Diplotän verfolgen. Der Nachweis war ebenso in der mitotischen Metaphase und sogar in der Interphase möglich, wodurch zukünftig neue und aufschlußreiche Einblicke z.B. in Fragen der funktionellen Bedeutung spezifischer Chromosomenpositionen im Interphase-, d.h. “Arbeits”-kern erwartet werden dürfen.

 (Th. Schmidt)