Bericht der Wintertagung der Arbeitsgemeinschaft für Kartoffelzüchtung und Pflanzguterzeugung 19./20.November 2008 in Göttingen

– ~80 Teilnehmer –

Organisation:
Hans-Reinhard Hofferbert, Ebstorf

Über 80 Teilnehmer konnte der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft für Kartoffelzüchtung und Pflanzguterzeugung in der GPZ, Herr Dr. Hofferbert, am 19. und 20. November 2008 zur Wintertagung in Göttingen begrüßen. Im ersten Vortrag berichtete Herr Andreas Meyer (Spiess Urania) von einem ansteigenden „gefühlten Befallsdruck“ bei Rhizoctonia solani. In einer detaillierten Übersicht wurden Einzelmaßnahmen der Pflanzgutbeizung gegenüber verschiedenen Pathogenen angesprochen. Es wurde dabei deutlich herausgestellt, dass der Pflanzenschutz nicht die Reparierkolonne des Ackerbaus ist.

Über den Einsatz der „Kombinierten Legetechnik bei Kartoffeln“ berichtete Herr Dr. Michael Klindtworth (Grimme Landmaschinenfabrik). Neben grundlegenden Hinweisen zu den Anforderungen beim Kartoffelpflanzen wurden die Vorteile der kombinierten Legetechnik vorgestellt. Die Knollen liegen exakt in der Dammmitte, es erfolgt kein Verschieben der Knollen beim Häufeln. Die arbeitswirtschaftlichen Vorteile dieses Systems bei voller Maschinenauslastung waren beeindruckend. Eine modulare Anordnung des Maschinensystems bietet Vorteile bei produktionstechnischen Risiken. Der Anbauer muss allerdings warten können, bis der Boden zu bearbeiten ist. Disziplin und pflanzenbaulicher Sachverstand sind unbedingt erforderlich.

Frau Michaela Schlathölter (P.H. Petersen Saatzucht) eröffnete mittels „Biofumigation“ ein neues Feld zur Nutzung von Phyto-Chemikalien bei der Bodenentseuchung. Durch die gezielte Bodeneinarbeitung von Zwischenfrüchten mit hohen Glucosinolatgehalten wird deren mikrobielle Umsetzung zu Isothiocyanat gefördert und damit eine Bekämpfung bodenbürtiger Pilze im Gemüse- und Zuckerrübenbau erreicht. Untersuchungen zur Verringerung des saprophytischen Bodenpotenzials bei Kartoffeln sind noch nicht abgeschlossen. Wesentlich bei der Bewertung der Biofumigation ist aber, dass das Resistenzverhalten der Zwischenfrüchte nicht aus den Augen verloren wird. Hier hat besonders der Ölrettich große Vorteile. Beide Kriterien sind wichtig und müssen züchterisch kombiniert und in der Landwirtschaft genutzt werden.

Frau Uta Schnock (Bundessortenamt) nahm Stellung zur Zulassung von Erhaltungssorten. Fragen der Biodiversität und der Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Im Rahmen der Gemeinschaftsvorschriften wurden mit der “Richtlinie 2008/62/EG der Kommission vom 20. Juli 2008 über die Ausnahmeregelungen für die Zulassung von Landsorten und anderen Sorten, die an die natürlichen örtlichen und regionalen Gegebenheiten angepasst und von genetischer Erosion bedroht sind, sowie für das Inverkehrbringen von Saatgut bzw. Pflanzkartoffeln dieser Sorten” nunmehr besondere Bedingungen festgelegt, um diesen Fragen Rechnung zu tragen. Die Richtlinien müssen bis zum 30. Juni 2009 in nationales Recht umgesetzt werden.
Herr Peter Loosen (Bund für Lebensmittelrecht/-kunde) stellte die sog. „Health-Claims-Verordnung“ (EG Nr. 1924/2006) zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben von Lebensmitteln vor. Sein Credo: „Im Moment kann man noch davon reden, dass z. B. Kartoffeln gesundheitsfördernd sind. In Zukunft wird man nur noch damit werben dürfen, wenn dies in bestimmten Listen steht.“ Dies bedeutet, dass die Zulassung von Angaben (Werbung!) von bestimmten Risikoreduzierungspotenzialen und nährstoffbezogenen Angaben nur dann noch erlaubt sein wird, wenn diese in den Anhängen der EFSA-Listen aufgeführt sind. Alle Verbände sind aufgerufen, diese Angaben auf Vollständigkeit zu überprüfen.

Einen Überblick über ein Monitoring der LWK Niedersachsen zum Auftreten von freilebenden Kartoffelnematoden gab Herr Dr. Stefan Krüssel. Aufgrund des zum Teil massiven Auftretens von Pratylenchus- und Trichodorus Arten in augenscheinlichen Befallsnestern wird dieses Monitoring ausgeweitet. Zur Bekämpfung der zystenbildenden Nematoden werden Sorten mit dem höchsten verfügbaren Resistenzgrad empfohlen. Die enge genetische Vernetzung von Pa2 und Pa3 erlaubt keine differenzierte Resistenzbewertung bei resistenten Sorten. Anhand der mehrjährigen Versuchsdaten in Weser-Ems liegen Resistenz- und Toleranzprotokolle bei unterschiedlichen Bodenverseuchungen vor. Neue Sortenzulassungen im Stärkebereich erwiesen sich dabei als hoch nematodenresistent und –tolerant. Die landwirtschaftliche Praxis benötigt dringend ähnliche Entwicklungen im Bereich der Speise- und Veredelungssorten.

Über einen Ringversuch der DPG-Arbeitsgemeinschaft „Integrierter Pflanzenschutz“ zur Ertragsrelevanz bei Alternaria ssp. berichtete Herr Jürgen Leiminger (LfL Weihenstephan). Ertragsdepressionen bei Alternariabefall sind durch eine kürzere Assimilationsdauer bedingt. Versuche zeigten, dass bei den früh abreifenden Sorten nur geringe Ertragseffekte zu beobachten waren. In den mittelspäten Stärkeversuchen waren Ertragsverluste bis zu 30% zu verzeichnen. Dieses Resistenzpotenzial der Sorten sollte für die Bekämpfung von Alternaria genutzt werden.
Herr Dr. Huub Schepers (Wageningen University, Applied Plant Research PPO) berichtete umfassend zur möglichen Aggressivitätsveränderung des Erregers Phytophthora infestans in Deutschland. Seine Ausführungen konzentrierten sich auf das Vorhandensein der beiden Paarungstypen A1 und A2, der Oosporenbildung und der damit verbundenen meiotischen Rekombination zu aggressiven neuen Phytophthora Herkünften. Mittels einer eindrucksvollen Datenbasis wurden der Einfluss der Fruchtfolge, der Bodenart, der Niederschlagsmengen, der Paarungstypen und der Spritzintervalle auf die Aggressivität von verschiedenen Isolaten untersucht. Deutliche Diskussion löste dabei die Äußerung aus, dass enge Spritzintervalle und ein früher Spritztermin eine Bildung von Oosporen deutlich vermindern können. Es muss unbedingt ein exzessiver Befall im Bestand vermieden werden. Die Fungizide sollen dann eingesetzt werden, wenn ihre produktspezifischen Eigenschaften am Besten genutzt werden können.

In einem zweiten Referat zu Phytophthora infestans („er ist kleverer, als wir uns das vorstellen können“) beschieb Prof. Dr. Ulrich Gisi (Syngenta Crop Protection) populationsdynamische Verschiebung bei diesem Oomyceten. So verschiebt sich die Ridomil-Resistenz bei Pi??? während der Vegetation zu einer erhöhten Resistenz, auch ohne die Anwendung von Ridomil. Die Aggressivität des Pilzes steigt innerhalb bestimmter Temperaturbereiche (12-16 Grad) mit jedem Grad um den Faktor 2. Es konnten dabei keine Unterschiede in der Aggressivität zwischen A1- oder A2-Typen festgestellt werden. Das Optimum der Aggressivität liegt zwischen 13-20 Grad. Die Frequenz resistenter Isolate ist in vielen Regionen Europas immer gleich hoch.

In molekularen Untersuchungen wurden 5 Phytophthora-Cluster erarbeitet: 1 (primär A1, primär Ridomil resistent), 2 (primär A2, primär Ridomil resistent), ¾ (primär A1, primär Ridomil anfällig), 5 (primär A1, sensitiv).  Aus den Clustern 2 und 5 sind in den letzten 10 Jahren zahlreiche neue Stämme isoliert worden. Resümee: Die Genotypenvielfalt hat zugenommen. Einige Genotypen dominieren die Populationen. Es sind neue Populationen gefunden worden. Diese entstehen auch ohne äußeren Selektionsdruck. Dies könnte auf Importe von Tomaten zurückzuführen sein. Möglich ist aber auch eine Selektion durch Sorten, Klima und Fungizide.
„Potatoes for a changing world“ war das Motto der Dreijahrestagung der EAPR in Brasoc, Rumänien. Herr Dr. Holger Junghans (NORIKA) stellte die züchterrelevanten Vorträge vor. Vorträge zu Phytoplasmen und Zebra Chips machen auf die in kontinentalen Klimaten auftretenden phytosanitären Probleme aufmerksam. Mittels Protoplastenfusion mit Etuberosum wurden PLRV Resistenzen kombiniert. Verschiedene Arbeiten zur Genexpression unter abiotischem Stress wurden vorgestellt.

Vor dem Hintergrund der Qualitätsbeeinflussung durch Phytoplasma stellte Frau Dr. Kerstin Lindner (Julius Kühn Institut) Arbeiten zum Auftreten von Stolbur vor. Diese Phytoplasma hat EPPO Status 2. Die Bundesrepublik gilt als befallsfrei. Es ist ein obligat biothropher, bakterienähnlicher Organismus ohne Zellwand. Übertragen wird er durch Zikaden. Winterwirte sind Brennnesseln, Ackerwinden und Nachschattengewächse. Erste Untersuchungen zum Resistenzverhalten von Kartoffelsorten in Rumänien wurden gemacht. Bei Befall werden erhöhte Gehalte an Saccharose und Gummiknollen festgestellt. Befallene Knollen weisen eine typische Zebrafleckigkeit der Chips auf.
Über Erfahrungen im Einsatz von Kartoffelsorten mit Kaltlagerungseignung berichtete Herr Dr. Michael Holtschulze von Lorenz Bahlsen Snack World. Die Anforderungen der Chipsindustrie an die Chipssorten lassen sich aus einem Zusammenwirken verschiedenster Eigenschaften beschreiben: Ertrag, Stärkegehalt, Knollenform, Knollengröße, Krankheiten, Mängel, Sensorik, Backfarbe und Lagereignung. Die Anforderungen an Kaltlagerungssorten sind in Bezug auf den Gehalt an reduzierenden Zucker besonders hoch. Mit Kaltlagerungssorten im Sinne des Referenten sind bereits Sorten zu verstehen, deren Dauerlagerungstemperatur unterhalb von 8,5 Grad liegt. Die Definition „4-Grad Sorte“ beschreibt dabei die absolut niedrigste Lagertemperatur, der die Kartoffel ausgesetzt sein darf und entspricht somit nicht der Dauerlagerungstemperatur. Durch die Acrylamidproblematik wird die Verarbeitung der Kaltlagerungssorten zunehmend wichtiger, da durch die geeignete Sortenwahl wichtige Qualitätsreserven benutzt werden können. Es wurde deutlich, dass die Kaltlagerungssorten der 1. Generation noch zu große pflanzenbauliche Probleme hatten, um von der verarbeitenden Industrie akzeptiert zu werden. Die Kaltlagerungssorten der 2. Generation zeigen verbesserte agronomische Werte. Daten der Wertprüfung dienen der verarbeitenden Industrie als Vorfilter für die Sortenauswahl der eigenen Versuche. Wichtig sind aber auch hier die detaillierten Sortenempfehlungen, um die Sorten in die Praxis einzuführen. Derzeitig wird ein starker Bedarf an Kaltlagerungssorten seitens der Chipsindustrie gesehen.

 (Hans-Reinhard Hofferbert, Ebstorf)