Bericht des Treffens der AG 16: Gemüse 4. Juni 2007 in Quedlinburg

– 38 Teilnehmer –

Tagung der GPZ-AG gemeinsam mit der GFP-Abteilung Gemüse, Arznei- und Gewürzpflanzen in der Bundesanstalt für Züchtungsforschung an Kulturpflanzen, Erwin-Baur-Straße 27, 06484 Quedlinburg

Organisation:
Dr. habil. Wolf-Dieter Blüthner, N. L. Chrestensen, Erfurt, Dr. Thomas Nothnagel, BAZ, Quedlinburg

Dr. Blüthner eröffnete die Tagung und begrüßte erfreut die Schar der kompetenten Teilnehmer aus Praxis und Wissenschaft in den neuen Gebäuden der BAZ. Er gedachte mit den Anwesenden des frühen Todes von Frau Dr. Marlies Rauber, Marne, die am 26.5.2007 nach längerer Krankheit verstarb.

Seitens der BAZ hieß Prof. Günter Schumann als Leiter des Instituts für gartenbauliche Kulturen die Gäste willkommen. Er umriss kurz die Geschichte des „Instituts für Pflanzenzüchtung“ am Standort Quedlinburg, in dem nach dem letzten Krieg u.a. 144 Gemüsesorten gezüchtet wurden. Seither konzentrierten sich die Aufgaben des Instituts zunehmend auf Fragen der Züchtungsforschung, wobei als Objekte seit längerem vor allem Brassica und Daucus bearbeitet werden.

Die Reihe der sieben Vorträge zum Rahmenthema „Grundlagen und Trends der Hybridzüchtung bei Gemüse“ begann PD Dr. Jochen Reif, Hohenheim, mit theoretischen Ausführungen und experimentellen Daten zur Analyse heterotischer Gruppen. Er führte aus, dass diese für die Züchtung von Hybridsorten zur systematischen Nutzung der Heterosis vorteilhaft sind, obwohl die bei diesem Konzept verwendete genetische Varianz gegenüber der Gesamtvarianz der Ausgangspopulationen eingeschränkt ist. Allerdings ist heute die Erstellung leistungsfähiger Elternlinien nicht mehr allein auf Selbstung, phänotypische Auslese und anschließende Testkreuzung angewiesen, sondern kann einerseits mit der In-vitro-Kultur und andererseits der Selektion mittels molekularer Marker und genetischer Distanzdaten hoch effizient auch sehr große Populationen ausnutzen. Trotz dieser intensiven Selektion ist beispielsweise in der Maiszüchtung die genetische Diversität zwischen Sorten in den vergangenen 50 Jahren nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, zurückgegangen, sondern etwa gleich groß geblieben. Offensichtlich haben die Züchter auf dieses für weiteren Zuchtfortschritt zwingende Erfordernis stets sorgsam geachtet. In der anschließenden Diskussion wird u.a. diesbezüglich vorgeschlagen, dass das Bundessortenamt bei der Sortenbewertung auch den Beitrag einer neuen Sorte zur Steigerung der Diversität im Gesamtsortiment der Art positiv anrechnen möge.

In einer anschließenden historischen „Übersicht zur Entwicklung der Hybridzüchtung bei Gemüse“ erinnerte Dr. Thomas Nothnagel, Quedlinburg, an die Berichte von Köhlreuter, Darwin, Mendel u.a. über „Bastardwüchsigkeit“ bereits im 19. Jahrhundert, an die ersten genetischen Analysen des Phänomens von East und Shull und den Beginn der züchterischen Ausnutzung von Heterosis in der Maiszüchtung in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts in den USA. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die systematische Hybridzüchtung auch beim Gemüse eingeführt, wo neben verbesserten Leistungen von F1-Hybridsorten hinsichtlich zahlreicher wichtiger Wertmerkmale nicht nur der Ertrag, sondern auch Frühzeitigkeit, gesteigerte Vitalität, Fruchtstabilität und Inhaltsstoffgehalte, Lagerneigung u.a. und insbesondere die deutlich verbesserte Homogenität der Produkte bei der Vermarktung geschätzt wird. Aus solchen Gründen sind Hybridsorten heute bei allen wichtigen Gemüsearten dominierend und werden Populationssorten im Einzelfall nur noch für den Kleingärtner angeboten, der sich eine Ernte von Salat, Radieschen und anderem Gemüse für den eigenen Verbrauch über einen längeren Zeitraum und hier durchaus keine Homogenität wünscht.

Verfahrensweisen und „Ergebnisse der Hybridzüchtung beim Kohl“ demonstrierte sodann mit einem eingehenden Bericht aus der eigenen Arbeit Dr. Harm Löptien, Marne. Beim Kopfkohl erfolgte der Übergang von Liniensorten zu F1-Hybridsorten vor über 30 Jahren auf der Grundlage der hier verbreiteten Selbstinkompatibilität (SI). Seither sind Mechanismus und Genetik derselben eingehend analysiert und die züchterisch am besten geeigneten der rd. 60 verschiedenen S-Allele bekannt. Auch gibt es für die Vermehrung der selbststerilen Elternlinien außer der Knospenbestäubung von Hand inzwischen verschiedene effektive Verfahren, wie Kochsalzsprühen oder CO2-Begasung, die in Marne in großem Maßstab eingesetzt werden. Aber das SI-System bleibt auch weiterhin genetisch kompliziert und in der Durchführung aufwendig. Deshalb sind die Kohlzüchter heute mit dem Verfügbarwerden des Ogura-Systems der CMS aus dem Rettich dabei, ihre neuen Hybridsorten mehr und mehr auf dieser Grundlage zu entwickeln.

PD Dr. Thomas Engelke, Würzburg, berichtete über seine noch in Hannover durchgeführten Arbeiten über die genetischen und molekularen Grundlagen der männlichen Sterilität bei Allium-Arten, insbesondere Schnittlauch und Zwiebel. Dabei konnte für das (S)-Cytoplasma eine chimäre mitochondriale Sequenz (atp9) nachgewiesen werden, die bei nachweislich verschiedenen CMS-Cytoplasmen in beiden Arten in gleicher Weise auftritt und offensichtlich für die Entstehung dieser männlichen Sterilität verantwortlich ist. Da eine entsprechende Sterilität beim Porree nicht bekannt ist, wurde versucht, durch interspezifische Kreuzung das CMS-System der Zwiebel in den Porree zu übertragen; das war jedoch letztlich nicht erfolgreich. Deshalb sind beim Porree bisher nur Kerngene für Sterilität nutzbar, mit denen züchterisch aber nicht die Uniformität einer F1-Hybride erreicht werden kann. In einem zweiten Teil seines Vortrags wandte sich Dr. Engelke den eigenen Arbeiten (gleichfalls aus seiner Zeit mit Prof. Tatlioglu in Hannover) zur Geschlechtsvererbung bei Gurken (drei Hauptgene!) und der Erzeugung rein weiblicher Linien zu. Ein Schlüsselenzym für die Synthese des hier wirksamen Ethylens ist die ACC-Synthase, für die von den drei genannten das Gen F zuständig ist. Mit Hilfe der beiden anderen postulierten Gene konnte ein Modell aufgestellt werden, das die Entwicklung der verschiedenen Geschlechtstypen der Gurke, wie monözische, hermaphrodite und gynözische Formen, weitestgehend zu erklären erlaubt. Aufgrund dieser Ein-Hormon-Hypothese gelingt es auch, z.B. durch Silberionen die Ethylenrezeptoren zu blockieren und männliche Blüten zur Vermehrung der rein weiblichen Linien zu erzeugen. Weitergehende Referenzen sind der Kurzfassung der Vorträge beigegeben (Kontakt Dr. Th. Nothnagel, BAZ Quedlinburg).

Für die Möhre ist das Auftreten von männlicher Sterilität nach Aussage von Dr. Nothnagel schon sehr frühzeitig dokumentiert. Bereits 1947 beschrieben Welch u. Grimball männlich sterile Pflanzen in einer Kultursorte, die als ‚brown anther’-Typ aufgefallen waren, während Munger 1953 eine petaloide ms-Form in einer nordamerikanischen Wildherkunft der Möhre fand. Beide Formen werden durch Unterschiede im Cytoplasma und mehrere Kerngene vererbt. Die ersten Hybridsorten entstanden mit dem brown anther-System. Aber neuerdings wird von den Möhrenzüchtern die petaloid-Form, die inzwischen in adaptiertes Zuchtmaterial eingelagert wurde, wegen ihrer Umweltstabilität bevorzugt. In der BAZ wurden zwischen 1992 und 2000 unter Verwendung von Wildformen drei neue alloplasmatische CMS-Systeme entwickelt, deren morphologische, genetische und molekulare Charakterisierung derzeit bearbeitet wird.

In zwei abschließenden Vorträgen berichteten Dr. Frank Marthe, Quedlinburg, über vor kurzem begonnene Arbeiten zur Suche und Bewertung von Komponenten für Hybridsysteme bei Petersilie, Sellerie und Fenchel und Frau Dr. Elke Diederichsen, Berlin, über ein neues Differentialsortiment von Raps zur sichereren Bestimmung von Kohlhernie-Pathotypen mit Virulenz gegenüber den in Raps heute verbreitet verwendeten Resistenzgenen aus Brassica rapa.
Am Nachmittag besichtigten die Teilnehmer die eindrucksvollen Baulichkeiten und Einrichtungen der BAZ am neuen Standort sowie Forschungsarbeiten in den Labors des Instituts für gartenbauliche Kulturen, soweit sie nicht an einer kurzen internen Sitzung der GFP-Abteilung Gemüse teilnehmen mussten. Nach Abschluss der Tagung in der Erwin-Baur-Straße folgte ein interessierter Kreis der Gäste noch einer Einladung der jungen Firma satimex Quedlinburg Handelsgesellschaft mbH und dem Tochterunternehmen satimex Züchtersaaten GmbH & Co KG in Quedlinburg, wo sie der Geschäftsführer Herr Hartmut Klein und der Züchter Herr Eike Kampe, über die Arbeiten an Gurken und Astern unterrichteten.

(W.D. Blüthner, Erfurt)