Bericht über den Workshop der AG Arznei- und Gewürzpflanzen (AG 17) der Gesellschaft für Pflanzenzüchtung (GPZ) am 9. Oktober 2012, Quedlinburg “Saatgutqualität, Trocknung und züchterische Verbesserung von Melisse (Melissa officinalis)”

– ca. 50 Teilnehmer –

Leitung:
Dr. F. Marthe, Institut für Züchtungsforschung an gartenbaulichen Kulturen und Obst – Quedlinburg des Julius Kühn-Institutes, Leiter der GPZ AG 17 und W. Stelter, FNR, Gülzow

Der Workshop „Saatgutqualität, Trocknung und züchterische Verbesserung von Melisse (Melissa officinalis)“ wurde von der GPZ AG17 gemeinsam mit der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) veranstaltet. Veranstaltungsort war der Hauptsitz des Julius Kühn-Institutes in Quedlinburg.

Nachdem bereits im Jahr 2009 eine Tagung der AG 17 der GPZ die Thematik Melisse unter dem Titel „Anbau und Züchtung von Zitronenmelisse (Melissa officinalis)“ aufgegriffen hat, widmete sich der Workshop des Jahres 2012 wiederum dieser Kultur. Grund hierfür war der vielfach geäußerte Wunsch, Erkenntnisse und Erfahrungen einem breiten Fachpublikum zugänglich zu machen, die aus verschiedenen Einzelvorhaben im Rahmen des Demonstrationsprojektes „Verbesserung der internationalen Wettbewerbsposition des deutschen Arznei- und Gewürzpflanzenanbaus am Beispiel der züchterischen und an-bautechnologischen Optimierung von Kamille, Baldrian und Zitronenmelisse“ (KAMEL) zu Melisse erarbeitet wurden. Diese Vorhaben werden von der FNR im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gefördert und befinden sich überwiegend kurz vor dem Abschluss einer meist dreijährigen Förderung.

Die Veranstaltung wurde neben deutschen Teilnehmern auch von Gästen aus Bulgarien, Österreich und Russland besucht. Da der Workshop in sieben Vorträgen, einer thematisch offenen Abschlussdiskussion und der Besichtigung von Versuchen Wissen und Erfahrungen transportieren wollte, war die Teilnahme von Vertretern aus melisseanbauenden Betrieben besonders erfreulich.

Ergebnisse zur Analyse der aktuellen Qualitätssituation am Saatgutmarkt von Melisse wurden von S. Wahl, Pharmaplant, Artern vorgestellt. Dafür wurden in den Jahren 2010 bis 2012 Melissesaatgutchargen aus dem Handel beprobt, nach den existierenden ISTA- Prüfmethoden für Reinheit, Fremdsamenbesatz, Keimfähigkeit und TKG untersucht und mit den nicht verbindlichen Normen (TGL 14197 der DDR 1980; Hoppe, B., 2009: Handb. Arznei- und Gewürzpfl.baus. Bd 1: 646-654) verglichen. Die Gesamtheit aller Normvorschläge erfüllten 2009 22,2 %, 2010 35,3 % und 2012 28,6 % der untersuchten Chargen.

Die Komplexe Saatgutqualität und Ansaatverfahren wurden auch in den beiden folgenden Beiträgen vertieft und zeigen den hohen Stellenwert dieser Themen – auch und besonders unter praktischen Gesichtspunkten. W.D. Blüthner, N.L. Chrestensen, Erfurt stellte Ergebnisse der Saatgutbearbeitung dar, als eine mögliche Verbesserung für das Gelingen einer maschinellen Ansaat im Unterschied zur gegenwärtig üblichen Pflanzung der Melisse. Das Ziel der Arbeiten besteht in der Steigerung des Feldaufgangs zur Verbesserung der Sicherheiten von Direktsaaten. Die Kalibrierungen nach Samengröße und nach Dichte in Wasser bzw. in organischen Lösungsmitteln erbrachten jedoch keine Verbesserung der Laborkeimfähigkeit. Bei den Untersuchungen auf dem Temperaturgradienten zeigte sich, dass die Melisse einen sehr engen optimalen Temperaturbereich hat. Keimraten über 50% werden nur bei Temperaturen von 26 bis 30 °C erreicht. Abweichungen davon führen zu starken Keimdepressionen. Bei Direktsaaten ist dieser Zusammenhang unbedingt zu beachten. Unterschiedliche Coating-Varianten beeinflussten die Keimfähigkeit nicht. Auch eine deutliche Verbesserung der Auflaufraten konnte in den geprüften Varianten nicht gefunden werden. Gründe hierfür sind die sehr deutliche Abhängigkeit des Aufganges von der Temperatur und ungünstige allgemeine Versuchsbedingungen für die konkreten Parzellenversuche.

Von T. Meinhold, Universität Bonn wurden sehr erfolgversprechende Arbeiten zur Entwicklung eines optimierten Aussaatverfahrens vorgestellt. Wichtige Parameter für einen guten Feldaufgang sind neben der Saatgutqualität die optimale Bodenvorbereitung, die Rückverfestigung des Bodens innerhalb der Säreihe und die Gewährleistung geringer Sätiefen. Bereits bei einer Überdeckung von mehr als 5 mm gibt es negative Auswirkungen auf den Feldaufgang. Die hohe Keimtemperatur der Melisse führt zusätzlich zu einer Verschärfung der Problematik. Bei günstigen Aussaatbedingungen und ausreichend Feuchtigkeit ist nach circa 3 Wochen mit einem Feldaufgang zu rechnen. Problemtisch ist in dieser Phase ein Austrocknen oder Verschlämmen des Bodens nach Starkregenereignissen.

Da die präzise Ablagetiefe der Samen bei Melisse einen entscheidenden Faktor darstellt, wurde ein pneumatisches Einzelkornsägerät für die Aussaatversuche ausgewählt. Verschiedene Aussaattests zu unterschiedlichen Zeitpunkten zeigten, dass die Maschine unter optimalen Wetterbedingungen während der Aussaat zu guten Auflaufergebnissen führt. Die flachen Ablagetiefen können dazu führen, dass nicht ausreichend Wasser in der oberen Schicht zur Verfügung steht. Eine erforderliche Bewässerung lieferte positive Ergebnisse. Der Einsatz von Zustreichern für die Überdeckung des Saatgutes war unvorteilhaft, da die Überdeckungshöhe des Saatgutes nicht ausreichend kontrollierbar ist. Aus diesem Grund wurde ein Granulatstreuer zur Ausbringung von Zuschlagstoffen in die Sämaschine integriert und 2012 für die ersten Feldversuche eingesetzt. Ziel der Zusatzstoffausbringung ist es, die Säreihe der Melisse gezielt mit einem nicht verschlämmenden Material zu überdecken, wodurch die Luftführung an das Saatgut gewährleistet bleibt. Weiterhin kann die Höhe der Überdeckung der Samen genau definiert und dadurch die Austrocknung verhindert werden, ohne die Triebkraft negativ zu beeinflussen. Es konnten Feldaufgänge von ca. 24 % im Vergleich zu 5 – 8 % ohne Granulatabdeckung erreicht werden. Da eine genaue Dosierung des Granulats die Aufwandmenge je Hektar stark eingrenzt, bleiben auch die Kosten für die Aussaat mit Zusatzstoffabdeckung von circa 100 € je ha begrenzt und können evtl. durch eine Saatgutersparnis aufgefangen werden.

Die erfolgreiche Direktsaat bedingt aber auch Veränderungen in der Kulturführung. Die Problematik der Unkrautbekämpfung durch den Einsatz von Herbiziden wurde von E. Pautz, DLR – Rheinpfalz, Schifferstadt auf der Grundlage eigener Versuche dargestellt. Verschiedene Herbizide wurden auf Verträglichkeit und Wirkung in unterschiedlichen Herbizidstrategien geprüft. In zwei Herbizidversuchen wurden Produkte zu verschiedenen Anwendungszeitpunkten und in unterschiedlichen Aufwandmengen eingesetzt. Die beiden Versuche haben gezeigt, dass nahezu alle Varianten Wachstumsdepressionen verursachten.

Die Wirkung der einzelnen Varianten auf ausgewählte Leitunkräuter war abhängig von den Behandlungsterminen und Entwicklungsstadien der Unkräuter. Der verzögerte und ungleichmäßige Aufgang und die langsame Jugendentwicklung der Melisse haben zur Folge, dass der zeitliche Abstand zwischen Vor- und Nachauflaufbehandlungen sehr groß ist. Zum Zeitpunkt der Nachauflaufbehandlungen waren beispielsweise Kreuzkraut, Vogelmiere und Hirtentäschel flächendeckend aufgelaufen und bereits im Zweiblattstadium. Für die Unkrautbekämpfung in gesäter Zitronenmelisse sollte auf jeden Fall eine weitere Prüfung mit Produkten wie BCP 222 mit 1 l/ha (VA) und Goltix Gold 1 l/ha (VA) in Tankmischungen mit Devrinol fl und einer Wirkungsabsicherung durch Basagran 1 l/ha (NA) erfolgen. Weitere Produkte, wie UltraMax kurz vor dem Durchstoßen der Zitronenmelisse sollten als mögliche Kombinationspartner für Nachauflaufbehandlungen getestet werden.

Die Steuerung der Trocknung geernteter Melisse ist überaus wichtig zur Qualitätssicherung. Gleichzeitig sollen die hierbei entstehenden hohen Kosten minimiert werden. Lufttemperaturen von 40 °C wurden von I. Barfuss, Universität Hohenheim als ideal für die Trocknung von Melisse dargestellt, um ihre wichtigen Inhaltsstoffe und die Farbe zu erhalten und gleichzeitig eine möglichst schnelle und somit energiesparende Trocknung zu erzielen. Die relative Feuchte der Trocknungsluft hingegen spielt nur eine geringere Rolle bei der Farbentwicklung der Melisse.

Bandtrockner bieten theoretisch ein hohes Energieeinsparungspotential, welches durch einfache Maßnahmen erreicht werden kann. Durchgeführte Änderungen sollten jedoch immer erst auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Untersuchungen an drei Praxisanlagen verschiedener Größe haben gezeigt, dass der Energiebedarf zur Trocknung desselben Gutes von Anlage zu Anlage deutlich variieren kann. Bei den Versuchsanlagen lag der thermische Energiebedarf zwischen 4,5 und 7,5 kWh pro kg trockener Melisse. Der Anteil an elektrischer Energie in Form von Ventilatoren und Bandantrieben betrug etwa 3 bis 9 % der gesamten benötigten Energie und nimmt somit einen relativ kleinen Teil ein. Die vom Trocknerbetreiber beeinflussbaren Parameter, welche den thermischen Energiebedarf der Trocknung hauptsächlich bestimmen, sind Luft- und Gutdurchsatz durch den Trockner, wenn man von einer gegebenen Trocknungstemperatur von 40 °C ausgeht. Ebenso spielt die Wärmerückgewinnung aus der Abluft, wie z.B. durch ein teilweises Umluftfahren, eine entscheidende Rolle bei der Energiebilanz. Im Durchschnitt könnten bei den Versuchstrocknern theoretisch 0,3 l Heizöl pro kg Trockenware eingespart werden, wenn man einem optimalen Umluftbetrieb einen Betrieb ohne jegliche Umluftführung entgegensetzt.

Neben den Schwerpunkten Saatgutqualität, Ansaatverfahren und Trocknung spielt die züchterische Verbesserung der Melisse ebenfalls eine wichtige Rolle für die Effizienzsteigerung des Produktionsverfahrens. Das verfügbare Sortenmaterial befriedigt nicht im Hinblick auf die Winterhärte. Die Verbesserung in dieser Eigenschaft steht im Mittelpunkt bei gleichzeitiger Steigerung des Gehaltes an ätherischem Öl. Bei den hierfür erforderlichen Selektionen muss auch ein hohes Ertragsniveau erreicht werden.

Für die Beschleunigung der Erzeugung homozygoter Linien für den Zuchtprozess wird eine Technik zur Herstellung doppelhaploider Pflanzen benötigt. Im Beitrag von U. Kästner, JKI, Quedlinburg wurden Ergebnisse der Erarbeitung einer Methodik zur Haploidenerzeugung und zur anschließenden Diploidisierung vorgestellt. Für die Versuche wurden ganzjährig Knospen aus dem Feld, dem Gewächshaus und der Klimakammer genutzt. In den Versuchen zur Haploidenerzeugung wurden unterschiedliche Temperaturführungen zu Beginn der Kultur und verschiedene Zusammensetzungen des Nährmediums zur Induktion der sporophytischen Entwicklung getestet.

In der Antheren- und Mikrosporenkultur wurde eine von der Mikrosporogenese abweichende sporophytische Entwicklung des Pollens beobachtet. Verschiedene Strukturen, von zweikernigen über mehrzellige Mikrosporen bis hin zu Mikrokalli, konnten in zwei Versuchsvarianten gefunden werden. Bislang ist es jedoch noch nicht gelungen, Pflanzen zu regenerieren. Unbefruchtete Samenanlagen zeigten außer kallusartigen Schwellungen an der Schnittstelle keine Entwicklungen. Bei dem Auflegen ganzer Fruchtknoten traten Schwellungen der darauf sitzenden Samenanlagen auf, aber auch diese verbräunten nach ca. 14 Tagen und starben wie die isolierten Samenanlagen ab. Sowohl bei den kultivierten Samenanlagen als auch aufgelegten Fruchtknoten gab es keine Entwicklung haploider Strukturen.

Für die von J. Kittler, JKI, Quedlinburg dargestellten Arbeiten zur Entwicklung generativ vermehrbarer Hochleistungslinien von Zitronenmelisse wurden 120 Akzessionen aus insgesamt drei Sammlungen untersucht. In mehrjährigen und zum Teil mehrortigen Versuchen wurden diese auf ihre Leistungen in Bezug auf Winterhärte sowie Ertrag und Gehalt an ätherischem Öl getestet. Die Akzessionen der Sammlungen der Bayrischen Landesanstalt für Landwirtschaft (LfL), des Leibniz-Institutes für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben und des N.I. Vavilov All-Russian Research Institute of Plant Industry (VIR), St. Petersburg, Russland stellen die erforderliche Variabilität als Voraussetzung für züchterische Verbesserungen der Melisse bereit.

Die getesteten Akzessionen wiesen zum Teil große Unterschiede in ihrer Leistungsfähigkeit auf. Besonders leistungsfähige Herkünfte wurden gekreuzt, um einen neuen Genpool zu erzeugen. Die hierfür erforderliche Kreuzungsmethode wurde zuvor entwickelt.

In mehrortigen Leistungsversuchen wurden bereits als winterhart vorcharakterisierte Akzessionen unter Freilandbedingungen getestet. Die Ergebnisse sind vielversprechend, da es Akzessionen gibt, die eine deutlich bessere Winterhärte als die beiden zum Vergleich mitgeführten Sorten ‘Erfurter Aufrechte’ und ‘Lorelei’ aufwiesen.

Um einen hohen Gehalt an ätherischem Öl zu erreichen, wurden umfangreiche Inhaltsstoffanalysen durchgeführt. Es konnten vielversprechende Linien charakterisiert werden. Ein besonderes Interesse galt außerdem dem ätherischen Ölgehalt im Verlauf der Onthogenese.

Bedeutender Bestandteil des Workshops war die abschließende thematisch offene Diskussion aller Teilnehmer. Zunächst wurde im Lichte der Ergebnisse zur Saatgutqualität gefordert, die Landwirte dafür zu sensibilisieren, nur noch Partien bei Saatguthändlern zu kaufen, für die eine aktuelle Angabe zur Keimfähigkeit mitgeliefert wird.

Für das Ziel, Bestände durch Aussaat in gleicher Qualität wie durch Pflanzung zu etablieren, muss im Fall von Melisse neben der Keimfähigkeit besonderes Augenmerk auf die Triebkraft des Saatgutes gerichtet werden. Saatgutvorbehandlungen, wie Coating, Upgrading sowie Priming könnten erfolgversprechende Maßnahmen zur Verbesserung des Auflaufergebnisses sein, entscheidend ist jedoch die Triebkraft der jeweiligen Partie in Verbindung mit einer möglichst hohen Temperatur während der Keimung. Eine Aussaat vor Ende Mai ist nicht zu empfehlen.

Es wurde die Einführung eines internen Standards gefordert. Dieser sollte Mindestanforderungen an Reinheit, Besatz, Keimfähigkeit und Triebkraft beschreiben und den Abnehmern einschlägig bekannt gemacht werden (z.B. in Zeitschrift für Arznei- und Gewürzpflanzen, über DFA, Europam und Bernburger Winterseminar). Hierin liegt auch Potenzial für ein marktregulierendes Alleinstellungsmerkmal. Von besonderer Bedeutung ist die Vereinheitlichung des Triebkrafttestes (TKT) durch definiertes Abdeckungsmaterial und definierte Schütthöhe entsprechend der bei der Firma Pharmaplant in Artern entwickelten Methode. Das Abdeckmaterial definierter Körnung muss überall leicht beschaffbar sein.

Dringender Untersuchungsbedarf für Anwendung von Herbiziden resultiert aus der techno-logischen Veränderung hin zum Direktsaatverfahren. Hier sind Fragen zur Wirksamkeit und Beeinträchtigung der Melissekultur unter der Situation der Lückenindikation zu betrachten.

In der Diskussion zum Direktsaatverfahren wurde deutlich, dass eine ökonomische Bewertung dieses Verfahrens im Vergleich mit der Pflanzung von Melisse erforderlich ist. Die zu erhebenden Daten sind erforderlich, um fundierte strategische Entscheidungen sowohl der Anbauer, wie auch für weitere Forschungs- und Entwicklungsvorhaben zu treffen.

Die Kurzfassungen aller Vorträge liegen im Tagungsheft Gemeinsamer Workshop 2012 der AG Arznei- und Gewürzpflanzen (AG17) der Gesellschaft für Pflanzenzüchtung (GPZ) und der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe e.V. (FNR) „Saatgutqualität, Trocknung und züchterische Verbesserung von Melisse (Melissa officinalis)“, 9.10.2012, JKI, Quedlinburg vor.

Quedlinburg, den 12.12.2012
Dr. F. Marthe