– 83 Teilnehmer –
Die Tagung fand anlässlich des 90. Geburtstages der beiden ehemaligen Göttinger Hochschullehrer: Prof. Dr. Gerd Kobabe (*16.4.1929, Hamburg) und Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Gerhard Röbbelen (*10.5.1929, Bremen) statt. Sie begann am 24. Juni um 13.00 Uhr im Alfred-Hessel-Saal der ehemaligen Bibliothek der Universität mit der Begrüßung, stellvertretend für die Hausherrin, durch die ehemalige Dekanin des Fachbereichs für Agrarwissenschaften, Frau Prof. Dr. Elke Pawelzik. In ihrem Vortrag ging sie auf das Wirken der beiden Professoren, selbst ehemalige Dekane, und den Wandel im Fachbereich für Agrarwissenschaften ein.
Als nächstes ging der leitende Direktor des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzen-forschung IPK und jetzige Präsident der Gesellschaft für Pflanzenzüchtung, Herr Prof. Dr. Andreas Graner auf das Wirken von Prof. Röbbelen als Gründungsvater und langjährigem Präsidenten sowie Sekretär der GPZ ein. Insbesondere die umfangreichen Veröffentlichungen in der Schriftenreihe ‚Vorträge für Pflanzenzüchtung‘ sind eine wertvolle Dokumentations- und Literaturquelle.
Im dritten Teil der Einführung schilderte der gerade emeritierte Göttinger Hochschullehrer, Herr Prof. Dr. Heiko Becker, als Nachfolger der Jubilare, den Werdegang sowie das Wirken der beiden Jubilare am Institut für Pflanzenzüchtung. Er stellte die beiden Jubilare als Familienmenschen, leidenschaftliche Gärtner, engagierte akademische Lehrer sowie deren organisatorisches Talent für die Wissenschaft heraus.
Die eigentliche Laudatio übernahmen zwei Vertreter aus der Wirtschaft: Herr Dr. Gisbert Kley für die Deutsche Saatveredelung aus Lippstadt und Herr Dr. Martin Frauen für die Norddeutsche Pflanzenzucht aus Hohenlieth.
Herr Dr. Kley begleitete die Arbeiten von Prof. Röbbelen seit den frühen 60er Jahren. Der junge Wissenschaftler Röbbelen brachte neue Ideen aus seinen Forschungsaufenthalten in den USA und Kanada mit nach Hause. Er beflügelte durch die Bildung des Göttinger Arbeitskreises Raps einen Aufschwung dieser Kulturart in Europa. Die Analytik von Erucasäurefreiheit und Glucosinolatarmut als notwendige Voraussetzung der Qualitätszüchtung beruhte damals auf indirekten Methoden, die von Professor Dr. Werner Thies am Institut entwickelt wurden. Insbesondere die enge Zusammen-arbeit zwischen Hochschule und der praktischen Pflanzenzüchtung ermöglichte es den Firmen DSV und NPZ Lembke moderne Qualitätsrapssorten zu züchten. Diese werden heute gemeinsam über den Rapoolring vermarktet. Die züchterischen Arbeiten zur Sterilität bei Welschem Weidelgras und die in-vitro-Erhaltung von Klonen für die Hybridzüchtung bei Weidelgräsern durch Prof. Kobabe, gingen ebenfalls in die praktische Züchtung ein. Neben der Bildung von Synthetischen Sorten fanden die Überlegungen zu sogenannten ‚Chance Hybrids‘ Eingang in die Sortenentwicklung bei Futterpflanzen.
Herr Dr. Frauen widmete seine Laudatio aus der Sicht eines Schülers und Doktoranden an die beiden Jubilare. Er entwickelte ein hieraus abgeleitetes Boniturschema zur Phänotypisierung und Auswahl geeigneter Kandidaten für eine eventuell anstehende Promotion. Die APS Noten gingen dabei von 1 (sehr bequem und langsam) über 5 (ahnungslos) bis zu 9 (sehr zielstrebig, fleißig und innovativ). Nur durch das Zusammenspiel des Professorenduos in fundierter Ausbildung bei den Grundlagenfächern sowie das begeisterungsfähige und organisatorische Wissenschaftsmanagement konnten junge Talente als ‚Doktores‘ entlassen werden, die über transgressive Eigenschaften verfügten.
Den zweiten Teil des Tagungsprogramms bildeten vier Vorträge ehemaliger Doktoranden der Jubilare, die aus ihren Arbeiten berichteten.
Den ersten Vortrag übernahm Dr. Werner Paulmann (NPZ Lembke, Malchow) mit der Entwicklung und praktischen Anwendung eines neuen Hybridsystems bei Raps. Im Rahmen seiner Dissertation begann er mit Untersuchungen des genisch-männlich sterilen Systems (msl=männlich-steril-labil) bei Raps in Göttingen. Durch diese Arbeiten wurde der dabei digenisch-dominante Erbgang zusammen mit Epistasie (Restorer) aufgedeckt. Hieraus wurde dann das erfolgreiche MSL (Männliche Sterilität Lembke) System entwickelt, welches heute ohne Patentierung verbreitet ist. Unter der Nutzung von Lizenzvereinbarungen bzw. des Züchterprivilegs werden beachtliche Marktanteile bei Winter- und Sommerraps in Europa, Kanada und Australien erzielt.
Der zweite Vortrag von Dr. Ulf Feuerstein (DSV, Asendorf) widmete sich der Futterpflanzenzüchtung und hier besonders den Gräsern als Futterpflanze, Rasengräser und Rohstoffquelle. Allein die Gräserzüchtung ist ein sehr komplexes Arbeitsgebiet: Es werden über 16 Arten bearbeitet, die meisten sind Fremd-befruchter, daneben tritt auch Apomixis auf. Die Ausdauer reicht von ein- bis zu mehrjährig perennierenden Arten, mit unterschiedlichen Ploidiestufen. Auch stark unterschiedliche Reifegruppen (>35 Tage) sowie Untergruppen sind ausschlaggebend für die Nutzungsrichtung bzw. Eignung, z.B. als: Futter (Beweidung, Silage, Heu etc.), Rasen (Zierrasen, Gebrauchsrasen, Landschaftsrasen etc.) und Rohstoffquell (Biogas, Inhaltsstoffe wie Fasern und seltene Elemente etc.). Als Zuchtschema werden insbesondere Synthetische Sorten entwickelt wobei die Komponenten über Saatgut und nicht mehr über Klone vermehrt werden.
Im dritten Vortrag gab Dr. Olaf Sass (NPZ Lembke, Hohenlieth) einen Einblick in die Leguminosen-züchtung die er auch nach seiner Promotion weiter bei der NPZ bearbeitet. Obwohl aus vielerlei Gründen die Ausweitung des Leguminosenanbaus erwünscht ist, bleibt die Anbaubedeutung in Europa noch relativ gering. Die Tatsache, dass sich ein mittelständischer Züchter dieser nicht so lukrativen Kulturart widmet ist umso bemerkenswerter. Die Ackerbohne mit indeterminiertem Wuchs ist ein partieller Fremdbefruchter (Insekten) und weist eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Inzuchtdepression auf. Sogenannte Topless- oder Stabilmutanten sind ganz vom Markt verschwunden. Die neueren Sorten sind meist Synthetischen Sorten wobei die Linien isoliert vermehrt werden und die Heterosis der Linienkomponenten aus Polycrosstests ermittelt wird. Die SYN3 wird durch gemeinsames freies Abblühen erzeugt. Heutige Sorten haben höhere und stabilere Kornerträge durch Nutzung der Heterosis bei verbesserter Standfestigkeit und Reife. Als erweiterte Zuchtziele werden Winterackerbohnen sowie die Reduktion des Vicin/Convicin Gehaltes bearbeitet. Letzteres erlaubt die deutliche Erhöhung des Leguminosenanteils in Futtermischungen.
Der letzte Vortrag durch Frau Dr. Milena Ouzunova (KWS, Einbeck) wurde eingeleitet mit einem sehr bemerkenswerten Zitat von Prof. Röbbelen von 1999: „Dem modernen Pflanzenzüchter kann die Markertechnik zwar in keinem Falle sein erfahrenes Züchterauge ersetzen; aber sie kann ihm in hilfreicher Weise als Brille dienen“. In einem sehr eindrucksvollen Vortrag leitete sie uns durch die rasante Entwicklung der letzten 20 Jahre: Die Etablierung immer kosteneffizienterer Hochdurchsatz-Genotypisierungstechnologien im Zusammenspiel mit einer immer ausgefeilteren Bioinformatik begleitet heute jeden Schritt in der Maiszüchtung sowie die gesamte Saatgutproduktion. Mit einem Zitat aus dem Lehrbuch von Kuckuck, Kobabe und Wenzel (Grundzüge der Pflanzenzüchtung) gab sie uns einen wichtigen Hinweis mit auf den Weg: „Jeder Züchter sollte sich bei der Wahl seiner Zuchtmethoden nicht von dem Kriterium ihrer Neuheitlichkeit leiten lassen, sondern lediglich von ihrer Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit“.
Das Abendprogramm bildete ein Festessen im alten Rathaus der Stadt Göttingen zu der sich 64 Teilnehmer versammelten. In diesem Zusammenhang möchte ich der GPZ sowie allen Sponsoren: der Deutschen Saatveredelung, NPZ Lembke sowie der KWS SAAT SE danken, die die gesamte Tagung inhaltlich und finanziell unterstützt haben. Alle Teilnehmer wünschen den beiden Jubilaren noch ein langes Leben bei bester Gesundheit im Kreise ihrer Familien!
Der zweite Tag der Tagung begann mit der internen Mitgliederversammlung im Hörsaal des Instituts für Pflanzenzüchtung. Zunächst wurde das Tagungsprogramm für den 18.-19.Juni 2020, anlässlich des 81. Geburtstags von Prof. Dr. Dr. h.c. Hartwig Geiger (*8.5.1939, Hamburg) in Stuttgart-Hohenheim vorgestellt (siehe auch GPZ Terminkalender). Im Weiteren haben die Mitglieder einstimmig für eine Beibehaltung der Tagung AG9, Geschichte der Pflanzenzüchtung, im jährlichen Rhythmus votiert.
Es ist geplant das Biographische Lexikon der Pflanzenzüchtung fortzuschreiben. Dieses soll zunächst digitalisiert und weitere Einträge sukzessive hinzugefügt werden. Für diese Arbeiten wird der Vorstand durch Prof. Heiko Becker sowie Prof. Henryk Flachowsky Unterstützung erhalten.
Nach der Mitgliederversammlung haben sich die neuen Professoren am Lehrstuhl mit ihren geplanten Arbeitsgebieten in Göttingen vorgestellt:
Prof. Dr. Timothy Beissinger (https://www.uni-goettingen.de/en/599788.html)
“Pflanzenzuchtmethodik”.
Die Ziele dieser Gruppe sind quantitativ- und populationsgenetische Ansätze, zum besseren Verständnis, wie sich Pflanzenarten in der Vergangenheit entwickelt haben, wie Phänotypen und Genotypen in der Gegenwart zusammenhängen und wie diese Informationssätze in Zukunft zur Verbesserung der Pflanzen genutzt werden können. Die primären Interessen lassen sich in zwei Kategorien einteilen:
- Verständnis, wie Organismen auf evolutionäre Kräfte wie künstliche Selektion reagieren.
- Besseres Verständnis der Komplexität von Genotyp-Phänotyp-Beziehungen sowie Interaktionen und nicht-additive Merkmalserscheinungen
Prof. Dr. Nils Stein
https://www.uni-goettingen.de/en/+neues+zeitalter+f%C3%BCr+genbanken+bricht+an/598247.html https://www.ipk-gatersleben.de/en/genebank/genomics-of-genetic-resources/
Biodiversität ist mehr als nur die Vielfalt der Arten. Ein weiterer, wichtiger Aspekt von Biodiversität ist die genetische Vielfalt innerhalb einer Art. Diese zeigt sich bei Kulturpflanzen in der Vielfalt der Sorten. Ein internationales Forschungskonsortium unter der Leitung von Prof. Dr. Nils Stein hat nun eine der weltweit umfassendsten Sammlungen von Gerstensorten molekular charakterisiert – insgesamt mehr als 22.000 Saatgutmuster. Stein hat eine Brückenprofessur, welche die Universität Göttingen mit dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben verbindet. Die Wissenschaftler beschreiben den Beginn eines neuen Zeitalters für Genbanken, die sich von reinen Sammlungen zu bio-digitalen Ressourcenzentren entwickeln.
Prof. Dr. Stefan Scholten
http://uni-goettingen.de/en/division+of+crop+plant+genetics/607325.html)
Abteilung für Nutzpflanzengenetik
Höhere Pflanzen besitzen mehrere Arten der Fortpflanzung, die die Grundlage für Ertrag und Zuchtwert sind. Die molekulargenetische und genomische Dissektion der sexuellen und asexuellen Fortpflanzung mit Schwerpunkt Epigenetik sowie die Samenqualität sind wichtige Forschungsgebiete der Abteilung. Schlüsselmethoden sind die Transkriptomik von kodierenden und nicht-kodierenden RNAs sowie biotechnologische Techniken. Vor allem bei Mais und Raps werden unter anderem folgende Themen behandelt: Saatgutentwicklung und Saatgutqualität, Hybridisierung und Heterosis, in vivo Haploid-Induktion und Androgenese sowie Vorhersage der Hybridleistung
Besichtigung des IMPAC³ Versuchs auf dem Versuchsgut Reinshof: Mischanbau mit neuartigen Genotypen für eine verbesserte nachhaltige Landnutzung in Ackerbau, Grünland und Forst
https://www.uni-goettingen.de/de/528191.html
IMPAC³ verbindet innovative Pflanzenzüchtung mit der Verbesserung der Diversität in der Agrarlandschaft. Eine erhöhte Diversität der angebauten Kulturpflanzen hat das Potenzial, Erträge zu erhöhen und die Ausnutzung der Ressourcen zu verbessern. Dazu entwickelt ein Konsortium aus Wissenschaftlern und Unternehmen der Pflanzenzüchtung ein Feldexperiment mit assoziierten Versuchs- und Demonstrationsflächen für eine detaillierte Kausal-Analyse zum Mehrertrag von Mischkulturen.
Für die drei Landnutzungen Ackerland, Grünland und Gehölzkulturen werden unterschiedliche Genotypen im Rein- und Mischanbau kultiviert. Die zentrale Hypothese von IMPAC³ besagt, dass der Erfolg von Mischanbausystemen von bestimmten Eigenschaften der verwendeten Genotypen abhängt und dass eine ideale Kombination der Mischungspartner die Produktivität und Stabilität der Produktionssysteme verbessert.
Prof. Dr. Wolfgang Link und viele weitere Mitarbeiter im Projekt führten uns durch die Versuche. Leider haben wir die Zeit zu knapp bemessen dieses umfangreiche Programm ausreichend zu besichtigen.
Volker Lein, Remy/Frankreich