Die Entwicklung des Haferanbaus der letzten Jahrzehnte zeigt für Deutschland einen kontinuierlichen Rückgang, der sich angesichts wachsender Flächenkonkurrenz fortsetzen könnte. Um diesem Trend entgegenzuwirken, braucht die gesamte Wertschöpfungskette Hafer neue Anregungen, Innovationen und Initiativen.
Unter der Ägide der Gesellschaft für Pflanzenzüchtung e. V. (GPZ) fand am Julius Kühn-Institut in Quedlinburg eine Tagung zum aktuellen Stand der Forschung und zur Diskussion des künftigen Forschungsbedarfs entlang der relevanten Wertschöpfungsketten bei Hafer statt. Ziel des Statusseminars mit 41 Teilnehmern war es, den Stand der Forschung entlang der Wertschöpfungskette Hafer in Deutschland und auch international darzustellen, zu diskutieren und Anstöße für neue Forschungsansätze zu geben.
An den zwei Halbtagen wurden in 15 Vorträgen aktuelle Arbeiten aus allen Teilen der relevanten Wertschöpfungsketten in der Tier- bzw. Humanernährung vorgestellt, die im Folgenden, thematisch geordnet, zusammengefasst sind.
Den züchterisch erreichten jährlichen Zuwachs im genetischen Ertragspotenzial bei Hafer im Zeitraum von 1983 bis 2012 wurde von Dr. Beuch, Nordsaat Saatzucht GmbH, auf 0,59 % oder 0,33 dt je Hektar und Jahr berechnet anhand der Wertprüfungsergebnisse in Deutschland.
In der Sortenzulassung berichtete Herr Rentel, (Bundessortenamt), von deutlich verringerten Anmelde- und Antragstellerzahlen, was die gesunkene Haferanbaufläche widerspiegelt. Durch Züchtungsfortschritte in den Anbau- und Qualitätseigenschaften stehen für alle Verwendungsrichtungen vielversprechende Sorten zur Verfügung.
Sortenversuche werden gegenwärtig durch die Länderdienststellen in acht Bodenklimaräumen auf insgesamt 31 Standorten in zumeist zwei Intensitäten durchgeführt, wobei sich aus dem Mittel der vergangenen drei Jahre höhere Mehrerträge durch die Intensitätssteigerung auf den nördlichen Standorten zeigen (Prof. Schäfer und Dr. Gröblinghoff, FH Soest). Die Lücke zu den Praxiserträgen ist beim Hafer größer als bei anderen Getreidearten, was mit der Einordnung des Hafers auf weniger vorteilhafte Praxisflächen, einer weniger intensiven Bestandesführung, dem schleppenden Sortenwechsel und anderen Faktoren zusammenhängen kann. In Deutschland finden nur selten Versuchsserien zu Fragen der Produktionstechnik (Bodenbearbeitung, Düngung, Pflanzenschutz) statt. Die Diskrepanz zwischen dem züchterischem Fortschritt im genetischen Ertragspotenzial und den im Praxisanbau realisierten Ertragszuwächsen kann ihre Ursache u. a. in den vergleichsweise geringen pflanzenbaulichen Forschungsaktivitäten haben.
Herr Petschke (Bäuerliche Erzeugergenossenschaft Gahlenz e.G.) legte in seinem Vortrag dar, wie Hafer für Schälmühlen kommerziell erfolgreich produziert werden kann und dass die Agrarpolitik entscheidend das angebaute Artenspektrum beeinflusst. Die Marktsituation und die Anforderungen der Schälmühlen an die Haferqualität wurden von Herrn Meyer (H. & J. BRÜGGEN KG) beschrieben. Hierbei wurde der Schälbarkeit und dem Kernanteil eine höhere Gewichtung gegeben als dem Hektolitergewicht. Letzteres bleibt das wichtigste Qualitätskriterium des Handels, der bei Unterschreitungen eines Hektolitergewichtes von 54 kg/hl oft Preisabschläge aushandelt. Letztere seien jedoch nicht etwa mit besonderen Anforderungen der Schälmühlen an das Hektolitergewicht zu rechtfertigen, so Dr. Beuch. Das Hektolitergewicht wird sehr von der Sorte, der Umwelt, der Methodik und der Probenaufbereitung beeinflusst und ist trotz physikalisch begründbarer Zusammenhänge selten mit anderen Kornparametern wie Korngewicht, Siebsortierung oder Spelzengehalt korreliert. Notwendig seien jetzt eine international akzeptierte Methodenkalibration der Hektolitergewichtsmessung sowie eine Aktualisierung der Empfehlungen seitens der Schälmühlen.
Neue Ergebnisse zum Einsatz von Hafer in der Tierernährung (Schwerpunkt Pferd) wurden von Frau Prof. Zeyner, MLU Halle-Wittenberg, aus dem Projekt GrainUp vorgestellt, wo erstmalig Unterschiede zwischen Hafersorten in der postprandialen glycaemischen Reaktion bei Pferden nachgewiesen und der Zusammenhang zur nervalen Reaktion diskutiert wurde.
Herr Schirdewahn von der Schweizerischen Eidgenossenschaft Agroscope berichtete über Ergebnisse aus dem Healthy & Safe-Projekt zum Vorkommen von Fusarien bei Hafer in der Schweiz. Hierbei wurde bislang am häufigsten Fusarium poae gefunden, gefolgt von F. graminearum, F. avenaceum und F. langsethiae. Die Jahreswitterung und Wirtschaftsform haben Effekte auf das Vorkommen und die Zusammensetzung des Artenspektrums – der Vorfrucht konnte bislang kein signifikanter Einfluss nachgewiesen werden. Hinsichtlich der Resistenz bestätigte sich bisher eine höhere Fusarien-Anfälligkeit von Winterhafer. Erste Ergebnisse zur Inokulation und Resistenz von Hafer gegen F. sporotrichioides stellte Dr. Winter, Georg-August-Universität Göttingen, vor. Die Befallsstärke 20 Tage nach der künstlichen Inokulation zeigte keine Korrelation zum Mykotoxingehalt, obwohl signifikante Sortenunterschiede im Befallsindex gefunden wurden. Im Mykotoxingehalt (T-2+HT-2) zeigten sich keine signifikanten Sortenunterschiede.
Frau Dr. Schwake-Anduschus, Max Rubner-Institut, berichtete über Vorkommen und Minimierung der Mykotoxine T-2 und HT-2 in Hafer aus Deutschland. Für die beiden Toxine gibt es bislang lediglich von der EU empfohlene Richtwerte, bei deren Überschreitung Ursachenforschung angezeigt ist. Die EU Kommission fordert zudem eine Verbesserung der Datenlage zur Entscheidung über eine mögliche Festlegung von Grenzwerten in der Zukunft. Die Untersuchung von Proben aus der Haferwertprüfung ergab starke Jahres- und Ortseffekte und keine signifikanten Unterschiede zwischen Wertprüfungsstämmen im T-2/HT-2-Gehalt, bei zumeist deutlich geringeren Werten relativ zum Richtwert von 1000 µg/kg in ungeschältem Hafer. Bei der Verarbeitung durch Kochen oder Backen sind die Toxine relativ stabil, das Entspelzen zeigt deutlich höhere Konzentration von HT-2 und T-2 in den Spelzen; der Toxingehalt in den Kernen liegt zumeist unter 10 % des Wertes der ungeschälten Körner.
Prof. Friedt, Universität Gießen, gab einen Überblick zur Genomforschung bei Hafer auf internationaler Ebene. Von besonderer Bedeutung ist hier das internationale Verbundprojekt Collaborative Oat Research Enterprise (CORE), in der sich zahlreiche Forscher aus öffentlichen Einrichtungen zusammen mit diversen Firmen der Weiterentwicklung der Züchtungsmethodik bei Hafer widmen – angefangen bei der Charakterisierung von genetischen Ressourcen und Zuchtmaterial, über die Entwicklung von genetischen Karten und Selektionsmarkern bis hin zur Etablierung neuer Züchtungsansätze einschließlich der genomischen Selektion. Ziel der CORE-Forschung ist die Etablierung einer universellen öffentlichen Datenbank für die Haferforschung und -züchtung, insbesondere auch für die molekulare Haferzüchtung. Besondere Herausforderungen liegen in der Entwicklung geeigneter Werkzeuge zur Nutzung der umfangreichen Sequenzdaten, der Leistungsvorhersage von Kreuzungen sowie der Erschließung genetischer Ressourcen. Dr. Mohler, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Freising, stellte erste Ergebnisse zur genetischen Kartierung mittels der Genotyping-by-Sequencing-Technologie vor. Hier wurde eine genetische Karte mit 2516 Markern und einer Länge von 2642 cM für die RIL5-Nachkommenschaft einer Kreuzung zwischen der Hafersorte ‘Leo’ und der Avena–byzantina-Akzession AVE2406 erstellt. Ziel der Arbeiten ist die Kartierung von Resistenzen gegen Mehltau und Flugbrand.
Die ökologische Haferzüchtung stellte Dr. Schmehe, Dottenfelder Hof, vor, wo neben Kornertrag und Qualität (gute Schäleignung, geringer Spelzengehalt, hohes Hektolitergewicht) zusätzlich die Unkrautunterdrückung und Flugbrandresistenz eine Rolle spielen. An der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft, Freising, laufen neben Sortenversuchen (Dr. Hartl) auch Forschungen an Kurzstrohhafer (Herr Bund), um die bessere Standfestigkeit der Kurzstrohtypen mit Ertragsstabilität und Kornqualität zu kombinieren.
Das Blühverhalten von Hafer stand im Mittelpunkt eines Beitrages von Dr. Herrmann, Julius Kühn-Institut. Von der Optimierung des Blühverhaltens werden Ansätze zur Vermeidung samenbürtiger Pathogene wie Fusarium und Flugbrand erwartet. So konnten in den bisherigen Arbeiten signifikante genetisch bedingte Unterschiede in der Antherenextrusion und der Offenblütigkeit nachgewiesen werden, die allerdings kaum mit der Mykotoxinakkumulation korreliert waren. Um Infektionen mit Fusarium oder Flugbrand wirksam vermeiden zu können, müssen noch stärker kleistogame Formen oder Typen mit stärkerer Antherenextrusion gefunden werden.
Die Charakterisierung von pflanzengenetischen Ressourcen des Hafers hinsichtlich der Inhaltsstoffqualität stellte Dr. Germeier, Julius Kühn-Institut, vor, der aus den Ergebnissen des AVEQ-Projektes (AVEna Genetic Resources for Quality in Human Consumption) berichtete. Dr. Rolletschek, IPK Gatersleben, stellte die Nutzung der Time Domain-Nuclear Magnetic Resonance (TD-NMR) im Hochdurchsatzverfahren vor. Mit dieser Technik wurden an intakten Samen von rund 3000 Avena-Akzessionen der IPK-Genbank Inhaltsstoffparameter wie Ölgehalt, Kornfeuchte, Proteingehalt und Kohlenhydratgehalt gemessen.
Angesichts der regen Diskussion der Beiträge wurde der Bedarf für derartige Treffen auch in der Zukunft deutlich. Eine Wiederholung des Statussseminars im drei- bis vierjährigem Zyklus ist vorgesehen.
M. Herrmann (Groß Lüsewitz)